Die Provinzbehörden von Henan führen eine umfassende Prüfung von Drei Selbst-Predigern durch. Ihr letztliches Ziel besteht darin, die “Unpatriotischen“ unter ihnen loszuwerden.
Jiang Tao
Die chinesischen Behörden bewerten die Prediger der staatlich kontrollierten Drei Selbst-Kirchen nun nach den, für Mitglieder der Kommunistischen Partei geltenden Maßstäben, um eine Gruppe “roter“ Kirchenleute zu schaffen, die den kommunistischen Idealen treu ergeben ist und Xi Jinpinig´s “Sinisierungspolitik“ fraglos folgt.
Im Gespräch mit Bitter Winter erklärten Prediger von staatlich anerkannten protestantischen Kirchen in Chinas Zentralprovinz Henan, dass die aktuellen Bewertungsmaßstäbe für Prediger nichts mit der Religion zu tun haben: Das einzige ausschlaggebende Kriterium ist, welche Kenntnisse der Prediger über die KPCh-Ideologie und -Politik besitzt. Von den Prüfungsfragen bis hin zur Zusammensetzung des Prüfungsteams – die Partei kontrolliert streng, wer in den Drei Selbst-Kirchen predigen darf. Die Prediger befürchten, dass die Kirchen in China letztendlich zu politischen Propagandabüros der KPCh werden.
Nur mit Antworten, die der Parteilinie entsprechen, kann man bestehen
Ein Prediger aus der Stadt Xinmi (Henan) berichtete, dass die Entscheidung, jeden Prediger einer Drei Selbst-Kirche einer Prüfung zu unterziehen, in einem Treffen des damaligen Büros für Religiöse Angelegenheiten der Provinz Henan im August 2018 gefällt wurde (diese Einrichtung wurde später in jenem Jahr in “Büro für Ethnische und Religiöse Angelegenheiten“ umbenannt).
Anfang September beschloss das Büro, dass zwei Bewertungsanforderungen gestellt werden sollten: Predigerkompetenz und Politikkenntnisse. Der erste Teil wurde mit 30 Punkten bewertet, der zweite mit 70 Punkten. Dadurch wurde sichergestellt, dass nur “ideologisch Erleuchtete“ predigen durften.
Für den ersten Teil musste jeder Prüfling einen Entwurf für eine Predigt schreiben, in der die Themen Landespolitik, kulturelle Tradition und die sozialistischen Grundwerte vorkommen mussten. Themen wie das ewige Leben, Himmel oder Hölle und dergleichen sind in Predigten verboten.
Um den politischen Standpunkt der Prediger zu bewerten, hatte das Büro für Religiöse Angelegenheiten einen Fragebogen vorbereitet. Der Prediger aus Xinmi erklärte, dass man, um den politischen Teil des Tests zu bestehen, mit der Terminologie und den politischen Dogmen des Büros für Religiöse Angelegenheiten vertraut sein musste. So lautete zum Beispiel die richtige Antwort auf die Frage: “Wie ist Ihre Haltung zum Thema: Nationalflaggen vor Kirchen hissen?“: “Ohne Nationalflagge würde der Patriotismus fehlen. Menschen müssen ihr Land mehr lieben als ihre Religion.“
Um bei der Frage, wie der Prüfling die Beziehung zwischen Kirche und Politik bewertet, eine hohe Punktzahl zu erreichen, sollte die Antwort lauten, dass es ohne Staat keine Kirche gäbe.
Der Prediger zählte noch mehr Beispiele für “richtige“ Antworten auf:
Frage: Was halten Sie von Grabreinigungsritualen und Opfergaben für die Ahnen? [Die Tradition der Grabreinigung wird von den Han-Chinesen seit über 2500 Jahren gepflegt, um ihre Pflicht gegenüber den Vorfahren zu erfüllen – was zu den konfuzianischen Tugenden gehört.]
Antwort: Dies ist ein traditioneller Teil der chinesischen Kultur, Christen können Gräber reinigen und den Ahnen Opfer bringen, das verstößt nicht gegen die Bibel.
Frage: Warum dürfen Minderjährige nicht zur Kirche gehen?
Antwort: Das ist Landespolitik. Kinder dürfen nicht in Kirchen, um ihr körperliches und geistiges Wohlergehen zu gewährleisten.
Ein Prediger aus der Stadt Xinzheng, der die Prüfung am 1. April dieses Jahres abgelegt hat, erinnert sich daran, dass er in dem Predigtteil des Tests eine Predigt zu dem Thema: “Christen müssen ihr Land lieben“ vorbereiten musste. In der Prüfung äußerte er sich dazu wie folgt: “Bevor jemand ein Zuhause hat, muss er ein Land haben. Das Motto und der Geist des 19. Nationalkongresses der KPCh besteht darin, dass man sich an die ursprüngliche Absicht erinnert und seine Aufgabe nicht aus den Augen verliert. Menschen wie Hua Mulan oder Lei Feng haben ihre Leben aus Liebe zu ihrem Land geopfert. Sie dienen uns als Beispiel.“ Mit dem Bezug auf Hua Mulan (eine, zur Legende gewordene chinesische, Kriegerin aus dem 4. und 5. Jahrhundert) und Lei Fang (einem, fast zum Mythos gewordenen, Soldaten der Befreiungsarmee, der zu einer kommunistischen Legende wurde und in der chinesischen Propaganda oft als beispielhafter Staatsbürger dargestellt wird), konnte der Prediger sichergehen, dass er den richtigen Ton traf und ihn das zuständige Büro die Prüfung bestehen ließ.
Ein anderer Prediger meinte hilflos: “Eigentlich geht es bei der Prüfung für die Predigerzulassung darum, die politische Einstellung der Teilnehmer zu prüfen. Regierungsvertreter verstehen die Bibel nicht. Solange man der Kommunistischen Partei um den Bart geht und sie unterstützt, kann man diese Prüfung bestehen. Wenn nicht, hat man keine Chance – ganz egal wie gut man über die Bibel Bescheid weiß.“
Zahlreiche Prediger entlassen
Ein Prediger aus der Stadt Luoyang berichtete, dass das städtische Büro für Religiöse Angelegenheiten in der Zeit von August bis November 2018 Prediger aus den Stadtteilen Chanhe, Xigong und Luolong überprüft hat. Nur Prediger unter sechzig Jahren mit einem Junior Highschool-Abschluss durften an den Prüfungen teilnehmen.
Der Prediger erklärte, dass drei der fünf Prüfer Regierungsvertreter und die anderen zwei von den Zwei Nationalen Christenräten gewesen seien. Somit war sichergestellt, dass die Parteifunktionäre die Entscheidungsmacht hatten. Von mehr als 80 geprüften Predigern im Stadtteil Luolong fielen fast 50 durch. Ihnen wurde die Predigerzulassung entzogen.
In der Stadt Xinzheng bestanden nur 58 von 100 Predigern die Prüfung, die Ende August vom städtischen Büro für Religiöse Angelegenheiten und der Vereinigten Arbeitsfront in der Sias Yufu-Kirche organisiert worden war. Ein ortsansässiger Prediger erzählte Bitter Winter, dass manche Prediger zwar sehr gute Bibelkenntnisse gezeigt hatten, aber nur wenige Punkte im politischen Teil erzielen konnten. Dies führte dazu, dass ihnen die Predigerzulassung entzogen wurde. Die 58 Prediger mussten sich diesen April erneut der Prüfung unterziehen. Bislang ist noch nicht bekannt, wie viele von ihnen bestanden haben.
Ein über 80 Jahre alter Prediger erklärte, dass die Regierungsprüfungen dazu dienen sollen, ältere Prediger und Prediger, die nicht der kommunistischen Partei gehorchen, zu entlassen. “Das Ziel der Regierung besteht darin, junge Prediger auszubilden, um diese zu indoktrinieren und zu infiltrieren, sodass sie die KPCh-Methoden anwenden, wenn sie im Gottesdienst Predigten halten. Am Ende sollen sie mehr als bereitwillig der KPCh dienen,“ meinte der Prediger.