Im Rahmen des immer heftiger tobenden „Lerne, lösche aus und leiste Widerstand“-Kreuzzugs, den die chinesischen Behörden gegen Dissens führen, droht dem ehemaligen Präsidenten der Universität Xinjiang, Tashpolat Tiyip, die Hinrichtung.
von Xiang Yi
Am 9. September startete Amnesty International einen Urgent Action-Aufruf und forderte die Menschen auf, Briefe an Präsident Xi Jinping zu schreiben und darin die sofortige und bedingungslose Freilassung von Tashpolat Tiyip zu fordern. Tiyip ist ein bekannter uigurischer Wissenschaftler, der in einem geheimen Gerichtsverfahren vor zwei Jahren wegen „Separatismus“ zu einer Todesstrafe auf Bewährung verurteilt worden war.
Tashpolat Tiyip war 2017 am Internationalen Pekinger Flughafen festgenommen worden, als er gerade mit einer Gruppe Studenten zu einer Konferenz nach Deutschland fliegen wollte. Seitdem ist er verschwunden. Sein Verbleib ist weiterhin unbekannt.
Der 1958 geborene Tashpolat Tiyip hatte an der Wissenschaftlichen Universität von Tokio studiert und dort 1992 seinen Doktor der Ingenieurswissenschaften im Fach Angewandte Geographie gemacht. 2010 wurde er Präsident der Universität Xinjiang.
„Die Universität Xinjiang stand aufgrund der herausragenden uigurischen Forschungen, die in der Region betrieben wurden, im Fokus der chinesischen Behörden“, heißt es im Bericht des Uigurischen Menschenrechtsprojekts vom Januar 2019. „21 Uiguren, die in dieser Einrichtung arbeiteten, wurden interniert, unter anderem Dr. Tashpolat Tiyip, Dr. Rahile Dawut und Dr. Abdukerim Rahman.“
In dem Bericht steht: „Seit April 2017 hat die chinesische Regierung mindestens 338 Intellektuelle im Rahmen der verstärkten Angriffe auf Uiguren und der Auslöschung ihrer Kultur in Ostturkestan interniert, ins Gefängnis gesteckt oder gewaltsam verschwinden lassen. In diesem Zeitraum gab es fünf nachgewiesene Todesfälle in Gewahrsam. Wie viele Intellektuelle tatsächlich in den Lagern oder direkt nach ihrer Entlassung gestorben sind, ist jedoch nicht bekannt, da diese Zahl aus Angst und Geheimhaltung verschleiert wird.“
Die Regierung hat Tashpolat Tiyip und andere uigurische Intellektuelle öffentlich als „schlechte Beispiele“ und „Personen mit zwei Gesichtern“ bezeichnet – letzteres ist ein Begriff, mit dem die chinesischen Behörden Menschen beschreiben, die der KPCh gegenüber illoyal sind. All dies geschah im Rahmen der im August 2017 gestarteten KPCh-Kampagne, die auf Chinesisch kurz xue-su-fan (學肅反, wörtlich: „Lerne, lösche aus und leiste Widerstand) genannt wird. Der vollständige Name der Kampagne lautet: „Lerne Reden und Rundschreiben, lösche schädliche Einflüsse aus und leiste der Infiltration Widerstand.“
Im Rahmen der Kampagne, die zunächst auf Mitglieder der Kommunistischen Partei sowie auf Regierungs-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen in Xinjiang ausgerichtet war, hielten die Behörden Konferenzen ab, auf denen die Reden von Xi Jinping gelesen und sogenannte „Rundschreiben“ vorgestellt wurden, in denen „negative Beispiele“ wie zum Beispiel Tashpolat Tiyip zu finden sind.
Viele chinesische Familien kennen die sufan-Bewegung (eine Kurzform für suqing fangeming肅清反革命, was als „Auslöschung der Konterrevolutionäre“ übersetzt werden kann). Dabei handelte es sich um – oft von Mao Zedong selbst initiierte – Massenkampagnen gegen angebliche Feinde der Revolution und „Spione“ innerhalb der Partei sowie gegen Studenten und Intellektuelle. Die ersten dieser Massensäuberungen fanden in den 1930er-Jahren statt, in den Jahren 1955-56 erreichten sie ihren Höhepunkt. Sie verhalfen Mao dazu, abweichende Stimmen innerhalb der Partei zum Schweigen zu bringen und seine Herrschaft zu etablieren.
Es scheint so, als würde Präsident Xi hinsichtlich der Auslöschung abweichender Stimmen in Maos Fußstapfen treten, wenn man seine „Lerne, lösche aus und leiste Widerstand“-Kampagne betrachtet, mit der in Xinjiang „Personen mit zwei Gesichtern“ eliminiert werden sollen.
In seiner Rede auf einer Konferenz am 7. Mai 2018 sagte der stellvertretende Sekretär des Parteikomitees in Xinjiang, Li Pengxin, dass die „Lerne, lösche aus und leiste Widerstand“-Kampagne eine wichtige politische Aufgabe sei. Er rief Beamte und Lehrer dazu auf, „Sonderlesungen der Rundschreiben abzuhalten, in denen Sattar Sawut, Tashpolat Tiyip, Halmurat Ghopur und weitere ‚Personen mit zwei Gesichtern‘ kritisiert werden. Außerdem sollen vergleichende Überprüfungen durchgeführt werden“, was bedeutet, dass die Menschen ihr Verhalten mit dem der Angeprangerten vergleichen und eine „klare Trennlinie zwischen sich und diesen ‚Personen mit zwei Gesichtern‘ ziehen sollen“. Der ehemalige Leiter des Bildungsministeriums von Xinjiang, Sattar Sawut, sowie Halmurat Ghopur, der ehemalige Präsident der Medizinischen Universität von Xinjiang, wurden beide wegen „ethnischen Separatismus“ auf Bewährung zum Tod verurteilt.
Bei früheren KPCh-Kampagnen dieser Art hatte das vornehmliche Ziel darin bestanden, „negative Beispiele“ öffentlich zu denunzieren und zu bestrafen, um die Massen davon abzuschrecken, von der Parteilinie abweichende Meinungen laut werden zu lassen. Dies geht hin und wieder mit schweren Verletzungen grundlegender Menschenrechte und einer Missachtung der Gesetze einher, was zu zahllosen rechtlichen Fehlentscheidungen führt.