Holly Folk, Massimo Introvigne und J. Gordon Melton analysieren die Religionspolitik der KPCh. Senator Lucio Malan – in Italien ein Held der Religionsfreiheit – begrüßte die zahlreichen Zuhörer.
von Marco Respinti
Eine Maschine bewegt sich kalt und gnadenlos vorwärts, langsam und gleichmäßig. Sie tötet hunderte von Hühnern. Eines nach dem anderen. Was von ihnen übrig bleibt, landet nach der blutigen Ernte auf dem Boden. Aufgrund eines technischen Fehlers werden zu Beginn der Hauptveranstaltung über religiöse Verfolgung in China die ersten Sekunden eines falschen Videos gezeigt. Dies passierte am ersten der drei Tage der Wissenschaftskonferenz Die Welt wieder verzaubern: Spiritualität und Religion im Dritten Jahrtausend, die vom Zentrum für Neue Religionsbewegungen (CESNUR) auf dem Luigi Einaudi-Campus der Universität Turin organisiert wurde.
Doch es gibt keine Zufälle und so hat das falsche Video eine wahre Geschichte erzählt: Eine traurige und auf drastische Art schockierend realistische Metapher dessen, was mit den religiösen Gruppen und ethnischen Minderheiten in der heutigen Volksrepublik China geschieht.
Diese Realität wurde sofort deutlich, nachdem das richtige Video gezeigt wurde – der von Bitter Winter produzierte, sehr erfolgreiche Dokumentarfilm Tiananmen und die religiöse Verfolgung in China. Der Film frappiert die Zuschauer immer wieder und unabhängig davon, ob sie ihn (möglicherweise auch mehr als einmal) bereits gesehen haben.
Diese Veranstaltung der CESNUR-Konferenz wurde von Prof. Holly Folk geleitet, die als Lehrbeauftragte am Liberal Studies Department der Western Washington University in Bellingham (Washington) tätig ist und als eine der weltweit bekanntesten Experten auf dem Gebiet der Kirche des Allmächtigen Gottes (KAG) gilt. Bei ihrer Einführung in das Thema wies Folk darauf hin, dass es nicht leicht ist, die Anfangsgeschichte der KAG herauszufinden. Zum einen, weil die Wahrheit systematisch und umfassend durch Fake News verzerrt wird, welche die KPCh sich ausgedacht hat und seit den Anfängen der Bewegung verbreitet. Zum anderen, wegen der brutalen Verhöre – oft unter Folter – denen KAG-Gläubige in China unterzogen werden: Die Zeugenaussagen, die sie unter Druck und oft, um ihr Leben zu retten, gegeben haben, werden daher zu einer komplexen und verwirrenden Angelegenheit.
Danach übernahm Prof. Massimo Introvigne die Bühne. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer von CESNUR sowie Autor und Herausgeber von über 70 Büchern. Zu diesen gehört unter anderem Die Kirche des Allmächtigen Gottes – auf der Spur der am stärksten verfolgten Religionsbewegung Chinas (Turin, Elledici, 2019) – eine wissenschaftliche Untersuchung der KAG, deren vollständige und überarbeitete Fassung bald auf Englisch veröffentlicht wird. Ein weiteres Buch von Introvigne ist Das Schwarzbuch der Religionsverfolgung in China (Sugarco, Mailand, 2019). Dieses entstand aus den virtuellen Seiten von Bitter Winter, deren Chefredakteur Introvigne ist. Introvigne sprach über die KAG-interne Darstellung der Anfänge der Bewegung und betonte, wie wichtig es bei wissenschaftlichen Betrachtungen von religiösen Gruppen und Bewegungen sei, auch immer zu berücksichtigen, wie deren Ursprünge innerhalb dieser Gruppen und Bewegungen dargestellt werden.
Zunächst gab Introvigne eine zusammenfassende Übersicht über die Entwicklung der KAG von ihren Anfängen im Jahr 1991 bis heute und einen kurzen, aber umfassenden Überblick über die KAG-Theologie (wobei er nachdrücklich auf deren Wertschätzung der Schönheit und die daraus resultierenden, künstlerischen Impulse hinwies). Introvigne betonte, dass die KAG seit ihren Anfängen verfolgt wird. Damals wurden viele ihrer frühen Kirchenführer gefangen genommen und auf der Stelle ermordet.
Der italienische Wissenschaftler erinnerte (vor allem die italienischen Zuhörer) daran, dass die Exilgemeinschaft der KAG-Angehörigen in Italien die größte KAG-Gemeinde in der Diaspora ist und vielleicht nur die Gemeinde in Südkorea eine ähnliche Größe aufweist. Bei der Darstellung der KAG-Theologie verwies Introvigne auch auf Interviews, die er selbst mit KAG-Mitgliedern geführt hat, um deutlich zu machen, durch welche Prüfungen der Allmächtige Gott seine Leute gehen lässt, um aus ihnen neue, vollständig erlöste Menschen zu machen, die in seinem bevorstehenden Zeitalter des Tausendjährigen Friedensreichs leben. Insgesamt gibt es sechs Prüfungen während der Prüfungszeit des Allmächtigen Gottes in der frühen Phase. In der letzten von ihnen kommt es zur endgültigen spirituellen Niederlage des roten Drachen, der im Buch der Offenbarung als blindwütiger Gegner Gottes und brutaler Christenverfolger beschrieben wird, der versucht, die Menschen durch Atheismus, Materialismus und andere Irrlehren zu täuschen und zu korrumpieren, was dazu geführt hat, dass das Wesen des Menschen sich zu Arroganz, Hinterlist, Selbstsucht, Bosheit, Gier und so weiter entwickelte und eine zunehmende Entmenschlichung stattfand. Aus Sicht der KAG können die Gläubigen nicht geläutert werden, solange sie nicht dem Gift des roten Drachen entsagen und die Wahrheit leben.
Introvigne sprach auch eine besonders wichtige Angelegenheit an: Den berühmten McDonald‘s-Mord von 2014. Er zeigte Videoaufnahmen von der Gerichtsverhandlung gegen die tatsächlichen Täter, aus denen hervorgeht, dass diese rein gar nichts mit der KAG zu tun haben und auch nie hatten – vor allem, weil sie erklären, dass die KAG ihrer Meinung nach den falschen Allmächtigen Gott anbetet.
Die zweite Rede auf dieser Veranstaltung hielt Prof. J. Gordon Melton, renommierter Professor für Amerikanische Religionsgeschichte am Institut für Religionsstudien an der Baylor-Universität in Waco (Texas) und einer der weltweit bedeutendsten Experten für neue Religionsbewegungen mit besonderem Interesse an China.
Melton erklärte, dass die chinesische Verfassung von 1982 offiziell die Religionsfreiheit im Land schützt. Allerdings wird dies so interpretiert, dass nur „normale“ religiöse Aktivitäten durchgeführt werden dürfen – und, dass der von der KPCh geführte chinesische Staat entscheidet, was „normal“ ist. Das beschränkt die Religionen in der Öffentlichkeit auf einen sehr eng begrenzten Raum ein, was sich sehr gut am Beispiel der Drei Selbst-Kirche veranschaulichen lässt.
Die Drei Selbst-Bewegung wurde vom kommunistischen Staat gegründet, um die protestantischen Kirchen zu infiltrieren und zu kontrollieren. Die Bewegung wurde allmählich dazu gedrängt, Religion als reine Privatsache zu betrachten. So sollte die KPCh-Strategie Form annehmen, deren letztliches Ziel für die Religionen lautet: Tolerieren, bis sie „auf natürliche Art“ (KPCh-Jargon) aussterben, und diesen Prozess unterstützen und beschleunigen. Tatsächlich ist es so, dass die KPCh Richtlinien für das religiöse Verhalten der Drei Selbst-Bewegung verfasst hat, um die freie Religionsausübung in der Öffentlichkeit zu zähmen und zu zügeln.
1982 wurde das sogenannte „Dokument 19“ veröffentlicht, das den Umgang mit den Hauskirchen zum Inhalt hat, d.h. mit den protestantischen Gemeinden, die sich weigern, der staatlich kontrollierten Drei Selbst-Kirche beizutreten. Die KPCh-Politik ist es, diese Gemeinden vollständig zu verdrängen, aber auch, während dieses Vorgangs geduldig zu bleiben. Man kann sich leicht vorstellen, dass der Grund dafür darin liegt, dass, so mächtig und skrupellos die KPCh auch ist, sie dennoch bislang (noch) nicht wirklich ausreichend Macht besitzt, die großen, weitverbreiteten und überall verstreuten Hauskirchen vollständig auszulöschen.
Melton führte aus, dass aus diesen historisch gewachsenen KPCh-Repressalien und Strategien hinsichtlich der Protestanten in China zwei weitere Probleme entstanden sind: Die Kriminalisierung anderer Religionsgruppen, die als Massen beschrieben werden, die lediglich unter der Fassade des Religiösen arbeiten, aber nicht wirklich religiös sind (wieder KPCh-Jargon) sowie die Verfolgung der Schreier als eine dieser Gruppen.
Das alles wurde in den Jahren 1995 bis 1997 formalisiert und perfektioniert, als die kriminalisierten Gruppen als xie jiao bezeichnet wurden. Das bedeutet eigentlich „heterodoxe Lehren“ und wurde von den politischen Mächten in China dazu verwendet, Gruppen, die aus welchen Gründen auch immer unbeliebt waren, für illegal zu erklären. Der Begriff wird fälschlicherweise und ideologisierend jedoch als „Sekten“ interpretiert.
Melton rief in Erinnerung, dass nach dem Zusammenstoß zwischen Falun Gong und der Regierung im Jahr 1999 die KAG von der KPCh als gefährlichste Gruppe auf der Liste betrachtet wurde. Die Schreier kamen auf Platz 3. Das bedeutet, dass die KPCh – nachdem es ihr erfolgreich gelungen war, die ehemalige Nummer 1 auf der Liste, die Falun Gong, zu zerstören – die KAG (ehemals Nummer 2) an die Spitze der Liste stellte. Falun Gong ist mittlerweile dezimiert und fast ausgelöscht. Aus diesem Grund richten sich die zunehmenden und verstärkten Repressalien nun in all ihrer Grausamkeit gegen die KAG.
Am Ende der gut besuchten Wissenschaftskonferenz ließ sich aus den Veranstaltungen eine grundlegende Erkenntnis mitnehmen: Die wissenschaftliche Untersuchung der Religion lässt sich nicht von der Anprangerung der Verstöße gegen die Religionsfreiheit trennen. Es ist von grundlegender Bedeutung, diese beiden Dinge zu unterscheiden – aber sie gehören untrennbar zusammen. Und das sagt viel über unsere heutige Welt aus. Das gleiche Thema war am Mittwoch, den 4. September, aufgeworfen worden – an dem Vorabend der CESNUR-Konferenz, als zahlreiche Vertreter unterschiedlicher Religionen am Runden Tisch für Religionsfreiheit zusammengekommen waren.
Während der Veranstaltung zu China waren die Grußworte des Senators Lucio Malan hochwillkommen. Der Angehörige der Waldenser hatte die Zeit gefunden, an der Konferenz teilzunehmen und dafür für kurze Zeit seine wichtige Arbeit als italienischer Politiker ruhen zu lassen – wo doch gerade an der Bildung einer neuen italienischen Regierung gearbeitet wird. Malan ist seit Jahrzehnten der standhafteste Verfechter der Religionsfreiheit im italienischen Senat. Er erklärte Bitter Winter, dass es zwar nicht möglich sei, alle Verbindungen zu Ländern, in denen die Religionsfreiheit nicht respektiert wird, abzubrechen, doch sie sollten im Rahmen der internationalen Beziehungen anders behandelt werden als jene Staaten, in denen Religionsfreiheit tatsächlich gelebt wird. So sollten solche repressiven und autoritären Staaten keinerlei Spenden, Wohlfahrtsgelder oder andere finanzielle Hilfen erhalten.