Lug und Trug im Zentrum des Kommunismus dauern fort: Um die Armut aus den offiziellen Statistiken zu tilgen wird Eigentum zerstört und Familien werden zerrüttet.
Xi Jinping hat versprochen, dass die Armut in China bis zum Jahr 2020 umfassend gelindert werden würde. Jetzt, wo dieser Termin näher rückt, kommt es zunehmend zu Vorfällen von “Zwangslinderung“ der Armut.
Nach Medienberichten aus China haben die Provinzpartei-Sekretäre und -Gouverneure von 22 Verwaltungseinheiten auf Provinzebene im mittleren Westen Chinas gegenüber der Zentralregierung eine “Verantwortungserklärung“ zur Armutslinderung unterzeichnet. Die Beamten versprechen, die Ziele der Armutslinderung zu erreichen. Ansonsten haben sie mit schweren Strafen zu rechnen. Dies ist das erste Mal seit dem 18. Nationalkongress im Jahr 2012, dass führende Parteipolitiker aus den Provinzen und der Regierung schriftliche Verpflichtungserklärungen gegenüber der Zentralregierung unterzeichneten.
Durch diese Versprechen wurde die Armutslinderung zur obersten Priorität – bei Nichteinhaltung riskierten die Beamten ihren Job. Bitter Winter hat bereits berichtet, dass einige Lokalregierungen Senioren im Rahmen der Politik der Armutslinderung dazu gezwungen haben, zu ihren Kindern zu ziehen. Nach der pervertierten Logik der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) kommen arme Menschen, die in die Haushalte anderer Menschen ziehen, in den Genuss mehrerer Einkommen und sind damit aus der Armut gerettet. Manche Häuser von Senioren wurden als baufällig klassifiziert und abgerissen.
Infolgedessen ist die Zahl der, nicht den Standards entsprechenden, Behausungen auf wundersame Weise gesunken. Auf diese Art haben die lokalen Beamten ihre Ziele erreicht. Doch die Senioren leiden weiterhin unter der Tragödie und der Farce der Armutslinderung überall in China.
Sag einfach das, was die Partei dir vorgibt
Um sich auf Inspektionen durch höhere Behörden vorzubereiten, erhalten verarmte Dorfbewohner in der Gegend von Yuncheng in der nördlichen Provinz Shanxi ein “Sondertraining“.
Ein Regierungsinsider erklärt, dass die zuständigen lokalen Beamten entlassen werden, wenn die Mission “Armutslinderung“ nicht dieses Jahr erfüllt wird. Um ihren Job zu behalten, haben die Beamten Angestellte ausgeschickt, die in Familien “zu Gast“ sind. Alle paar Tage besuchen diese Beamten verarmte Haushalte und indoktrinieren die Familienmitglieder mit Armutslinderungsparolen. Ihr Ziel ist es, die Familien zu einheitlichen Aussagen zu bringen, wenn die Zentralbehörden zur Inspektion kommen. Deren Antworten müssen f0lgende Punkte beinhalten: Einmal die “beiden Punkte ‚kein Problem’“ (kein Problem mit ausreichender Nahrung und kein Problem mit ausreichender Kleidung) und zum anderen die “drei Garantie-Punkte“ (garantierte Medizin, Behausung und Bildung). Um die “beiden Punkte ‚kein Problem’“ zu belegen, müssen in den Schränken ordentliche Kleider hängen und es müssen sich Eier und Fleisch im Kühlschrank befinden.
“Wir müssen alles sagen, was sie uns vorgeben“, erklärt ein Dorfbewohner hilflos, der zwangsweise “aus der Armut gerettet“ wurde. “Wenn nur eine einzige Familie falsche Antworten gibt, dann kann nicht behauptet werden, dass unser Kreis dieses Jahr die Armut gelindert hat. Dann wird die Regierung uns das Leben schwer machen.“
Zhang, ein anderer Dorfbewohner aus dem Kreis Yuanqu, wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte, als die lokalen Beamten ihn auf die Inspektionen durch die Zentralbehörden vorbereiteten. Zhang wurde gesagt, er müsse lügen und behaupten, er sei 2014 arm gewesen, aber 2015 aus der Armut gerettet worden. Aber er erklärte Bitter Winter, dass er nichts davon gewusst hatte, dass er einmal verarmt gewesen sei, bevor ihm die lokalen Beamten dies mitgeteilt hatten – und er hatte niemals irgendwelche Zuwendungen erhalten, die ihn aus der Armut gerettet hätten.
Zur gleichen Zeit wurde die, aus dem Kreis Xiangning stammende, Feng angewiesen, sie solle behaupten, dass sie zwei Jahre lang finanzielle Hilfen zur Armutslinderung erhalten habe. Tatsächlich hatte Feng niemals irgendwelche finanziellen Hilfen zur Armutslinderung erhalten seit ihr Haushalt 2017 zum ersten Mal als verarmt eingestuft worden war. Doch sie hatte keine andere Wahl als in dem Theaterstück der Regierung mitzuspielen.
Alte Frau begeht Selbstmord, nachdem sie obdachlos wurde
Der 72 Jahre alte Wang Zhangming hatte zusammen mit seiner Frau Li Mei und ihren beiden Söhnen im Kreis Shangshui (Stadt Zhoukou, Zentralprovinz Henan) gelebt. Nachdem ihre Kinder ausgezogen waren, hatten sich die alten Eheleute ein kleines Haus im Ostteil ihres Dorfes gebaut, in dem sie bequem und angenehm leben konnten.
Im August 2018 errichteten sie mit Ziegelsteinen und Fliesen zwei zusätzliche Räume neben dem kleinen Haus. Doch bevor sie die Bauarbeiten beendet hatten, verlangte die Regierung, dass sie ausziehen und bei ihren Söhnen leben sollten.
Die lokalen Beamten erklärten Wang unverblümt: “Das ist die Politik. Niemand kann etwas dagegen unternehmen. Wenn diese Kampagne beendet ist, können Sie wieder zurückziehen. Wir machen ein Foto und das ist alles.“ “Armutslinderung“ war also eindeutig nur eine Parole und hatte nicht wirklich etwas damit zu tun, armen Menschen zu helfen.
Wenige Tage später wurde an auffälliger Stelle ein Schild mit der Aufschrift “unbewohnt“ an Wangs Haus angebracht. Dies bedeutete, dass sie gemäß Gesetz aus der Armut gerettet worden waren.
Doch die Schilder mit der Aufschrift “unbewohnt“ dienen noch einem anderen Zweck: Zur Politik der Armutslinderung gehört es auch, baufällige Häuser zu renovieren – natürlich müssen Häuser, die bereits “unbewohnt“ sind nicht mehr repariert oder renoviert werden.
Um ihr Ziel zu erreichen und die Zahl der, nicht dem Standard entsprechenden, Behausungen zu reduzieren, brachen die Regierungsangestellten das Versprechen, das sie Wang gegeben hatten. Sie teilten ihm mit, dass das Haus zerstört werden würde, falls das Ehepaar es wagte, dorthin zurückzukehren. Dieses Haus noch einmal zu beziehen würde “Schande über die Regierung bringen“.
Wang wusste, dass die Regierung keine leeren Drohungen machte. In jedem Dorf im Zuständigkeitsbereich der Gemeinde Weiji (Kreis Shangshui) waren alte Häuser abgerissen worden – allein im Dorf Lizhung waren 25 Häuser diesem Schicksal zum Opfer gefallen. Die Eheleute hatten keine andere Wahl, als zu ihrem jüngeren Sohn zu ziehen.
Als ihr Sohn im Oktober 2018 sein altes Haus abriss, um ein neues zu bauen, hatten Wang und seine Frau keinen Ort zum Leben mehr. Sie entschieden sich dafür, das Risiko einzugehen und zurück in ihr früheres kleines Haus zu ziehen. Kurz darauf wurden sie vom Parteisekretär des Dorfes entdeckt, der ihnen erneut drohte und sagte, das Haus würde zerstört werden, wenn das alte Ehepaar nicht auszieht.
Die Eheleute bekamen Angst und zogen so schnell wie möglich in den Haushalt ihres anderen Sohnes. Doch die Familie des Sohnes verstand sich nicht gut mit Wang und seiner Frau, sodass sie weiterhin keinen Ort zum Leben hatten.
Erschöpft von den Umzügen und Sorgen und der Aussicht, keinen Ort zu haben, an den sie gehen konnten, saß das alte Ehepaar an einem Fluss. Li Mei klagte: “Wir dürfen nicht in dem Haus leben, das wir mit eigenen Händen gebaut haben. Was kann ich tun? Was ist das für eine Welt? Sie treiben uns in eine Sackgasse.“
Wang versuchte, seine Frau davon zu überzeugen, die Situation zu akzeptieren und nach vorne zu schauen. Seine Frau sagte, sie wolle sich einen Ort suchen, wo sie sich eine Weile ausruhen könne, und kehrte allein zu dem kleinen Haus zurück.
Als Wang später zu dem Haus ging, um nach ihr zu sehen, musste er feststellen, dass seine Frau Pestizide geschluckt und alleine in dem Haus gestorben war.
Was ist als nächstes von Xi Jinpings Politik der Armutslinderung zu erwarten?
Zyniker sagen, dass Xi Jinping seine Mission, die Armut bis 2020 auszurotten, erfüllen wird… zumindest in einem gewissen Sinne: Ziele können immer erreicht werden, wenn sie nur richtig definiert sind. James Wen Guanzhong, ein emeritierter Wirtschaftsprofessor vom Trinity College in den USA erklärt: “Es besteht die Möglichkeit, dass dieses Ziel der Regierung durch verschiedene künstliche, kurzfristige Sondermaßnahmen erfüllt werden kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Art von Armutslinderung nachhaltig ist. Wenn alles sich wieder normalisiert hat, wird auch die Armut zurückkehren.“
(Alle Namen in dem Artikel wurden von der Redaktion geändert.)
Bericht von Gu Xi