Er erklärt der Hindustan Times, wie eine Entscheidung getroffen wird, ob es einen nächsten Dalai Lama gibt oder nicht.
Massimo Introvigne
Am 25. Dezember 2018 gab der Dalai Lama der Hindustan Times ein Interview, dessen Bedeutung durch seine Veröffentlichung auf der Webseite der Zentralen Tibetanischen Verwaltung noch verstärkt wurde.
Der derzeitige 14. Dalai Lama, der 84 Jahre alt ist, sagte einen Besuch in den Vereinigten Staaten und ein Treffen mit Präsident Trump aufgrund seiner körperlichen Verfassung ab, auch wenn er mitteilte, dass sein Prostatakrebs durch Bestrahlung erfolgreich geheilt wurde. Er schien nicht allzu beunruhigt darüber zu sein, dass ihm einige Länder den Besuch verweigerten. Er erklärte, dass es keine Beziehungen zur chinesischen Regierung gibt und „dass es nur einen informellen Kanal zu chinesischen Beamten in Rente und zu Geschäftsleuten gibt, die mich von Zeit zu Zeit besuchen kommen“. Die halboffiziellen Beziehungen während des Vorsitzes von Deng Xiaoping (1904 – 1997) und Jiang Zemin scheinen der Vergangenheit anzugehören.
Der wichtigste Teil des Interviews bezieht sich darauf, ob es einen 15. Dalai Lama geben wird und falls ja, wie er ausgewählt werden wird. Der Hintergrund zu den Mitteilungen des Dalai Lamas enthält eine Reihe von Mitteilungen und Schriften des letzten Jahrzehnts, in denen er mitteilte, dass die Tatsache, dass er einen Nachfolger haben würde, nicht für ausgemacht genommen werden sollte, und dass das vom chinesischen Regime 2007 erlassene Gesetz das Recht zur Entscheidung, welche tibetanischen Lamas reinkarnieren würden und wie die Reinkarnation durchgeführt würde, (paradoxerweise) in die Hände der KPCh legen würde.
Der 14. Dalai Lama wiederholte in dem Interview dogmatische Positionen, die er in vorherigen theologischen Schriften zum Ausdruck gebracht hatte, die nicht zwangsläufig einem nicht-spezialisierten Publikum geläufig sind. Hunderte und sogar Tausende tibetanische und mongolische Lamas sind Teil dieser reinkarnierten Abstammungsreihe. Der Dalai Lama hat wiederholt angemerkt, dass ein hoher Lama seine Essenz vor seinem Tod an einen Nachfolger übermitteln kann (in diesem Fall handelt es sich eher um eine „Aussendung“ als um eine Reinkarnation) und dass ein Lama in mehr als einer Person reinkarnieren oder auch überhaupt nicht reinkarnieren kann. Im Wesentlichen ist das seine Entscheidung.
In dem Interview traf der Dalai Lama drei wichtige Aussagen. Die erste beantwortete eine Frage über seine Meinung zu der Tatsache, dass es zusätzlich zu den zwei Panchen Lamas (einer anerkannt von der tibetanischen Diaspora und einer von der KPCh, auch wenn niemand den von der Diaspora anerkannten Panchen Lama gesehen hat, nachdem die KPCh ihn 1995 im Alter von 6 Jahren verhaftet hatte) zwei rivalisierende Karmapas gibt. Der Karmapa ist der Leiter der buddhistischen Karma Kagyu-Schule in Tibet, während der Panchen Lama die zweithöchste Autorität in der Geluk-Schule ist, deren Leiter der Dalai Lama ist. Letzterer bemerkte, dass „ein hoher Lama im 19. Jahrhundert fünf Inkarnationen hatte. Es ist möglich, dass der 16. Karmapa weniger Reinkarnationen hat, aber der Inhaber des Sitzes sollte einer sein.“ Er fügte aber hinzu, dass aus politischen Gründen vorgeschlagen wurde, nicht auf dem theologischen Standpunkt zu bestehen: „… einige Gruppen haben mir dann mitgeteilt, dass ich nicht über die Möglichkeit von zwei oder drei Reinkarnationen sprechen sollte. Ich sagte ok, ich würde den Mund halten.“
Der zweite Punkt ist, dass es möglich ist, dass es keinen 15. Dalai Lama geben würde. Ein Dalai Lama würde gebraucht, wenn die Geluk-Schule auch die politische Kontrolle über Tibet hätte. „Ich habe schon 1969 klargestellt, dass es den Tibetanern obliegt, zu entscheiden, ob die Institution des Dalai Lama fortgesetzt werden sollte oder nicht. Sie werden das entscheiden. Ich mache mir da keine Sorgen. Seit dem 5. Dalai Lama bedeutete der Titel (die Person, die ihn innehatte) die Leitung sowohl der zeitlichen als auch der spirituellen Angelegenheiten. Seit 2001 habe ich stolz, freiwillig und glücklich die politische Rolle aufgegeben. Wir haben bereits gewählte politische Führung erlangt (die Tibetische Exilregierung in Dharamshala) und diese trägt die volle Verantwortung über unsere zeitlichen Angelegenheiten. Ich habe mich seit 2011 vollständig zurückgezogen.“ Der Dalai Lama fügte kichernd hinzu, dass an diesem Punkt „mein Denken liberaler ist, als das chinesische Denken, dass orthodoxer ist“, da die KPCh glaubt, dass ein anderer Dalai Lama ausgewählt werden sollte (selbstverständlich von der KPCh selbst).
Drittens merkte der 14. Dalai Lama entschlossen an, dass der 15. Dalai Lama, der von der KPCh als seine eigene Reinkarnation ausgewählt würde, keine Glaubwürdigkeit haben würde. Und dass, bevor er stirbt, seine Reinkarnation nicht von ihm selbst, sondern durch eine große Konsultation tibetanischer und mongolischer Lamas und Laienführer entschieden würde, die ausschließlich von der KPCh kontrolliert wären. Tatsächlich sollte die 13. Religiöse Konferenz der Schulen der Tradition des Tibetanischen und des Bon Buddhismus (29. November – 1. Dezember 2018) in Dharamshala ein wichtiger Teil dieses Prozesses sein, doch sie wurde vertagt. Der Dalai Lama führte aus, dass der Grund dafür war, dass „ein wichtiger Lama (Kathok Getse Rinpoche, Leiter der Nyingma-Schule) plötzlich verstarb. Die Konferenz musste vertagt werden, da dies eine Zeit der Trauer war“, und dass dies „nichts zu tun hat“ mit der Situation, die durch die Koexistenz von zwei rivalisierenden Karmapas besteht. Er verneinte auch Unstimmigkeiten zwischen ihm selbst und der Tibetischen Exilregierung.