In China ist eine landesweite Kampagne zur Erfassung biometrischer Daten von Personen in vollem Gange, die oft fälschlicherweise als Mittel zur „Bekämpfung von Verbrechen“ dargestellt wird.
von Wang Yong
Bitter Winter hat bereits berichtet, dass die Regierung in Chinas nordwestlicher Region Xinjiang eine ganze Reihe biometrischer Angaben aller Einwohner im Alter von 12–65 Jahren für eine landesweite Datenbank sammelt.
Die KPCh setzt dieses Programm, das oft als „Bekämpfung von Verbrechen“ getarnt ist, auch in anderen Teilen Chinas umfassend um. Das Ministerium für öffentliche Sicherheit begann bereits Anfang des neuen Jahrtausends mit dem Aufbau einer abfragbaren, nationalen DNA-Datenbank als Teil eines größeren polizeilichen Informationsprojektes namens Golden Shield.
Wie Human Rights Watch im Jahr 2017 berichtete, belegen jedoch dokumentierte Fälle, dass eine Entnahme von derartigen DNA-Proben offensichtlich nichts mit der Aufklärung von Verbrechen zu tun hat.
Offizielle Begründung: Blutproben helfen bei der Lösung von Kriminalfällen
Die Provinzregierung von Jiangxi im Südosten Chinas hat kürzlich damit begonnen, Blut- oder Speichelproben von Männern in jedem Haushalt in allen Städten und Bezirken der Provinz zu sammeln.
Am Morgen des 24. Juli kam die lokale Polizei in die Häuser der Dorfbewohner in der Stadt Shangzhuang, im Zuständigkeitsbereich der Stadt Fengcheng, um Blutproben von allen männlichen Familienmitgliedern zu entnehmen –Erwachsene und Kinder gleichermaßen.
Nach Angaben der Bewohner wird der Bluttest in der Regel von Dorfbeamten und Beamten der örtlichen Polizei durchgeführt. Die Einwohner müssen auch ein „persönliches Informationsformular für die DNA-Datenbank“ ausfüllen.
Als die Bewohner nach dem Grund für die Blutentnahme fragten, erklärten ihnen die Beamten, dass dies zur digitalen Archivierung der DNA von Personen diene. Wenn sie oder ihre Nachkommen gegen das Gesetz verstoßen würden, könnten sie überall gefunden werden – sogar im Ausland. Die Beamten fügten hinzu, dass es sich um eine landesweite einheitliche Operation handle.
Ein Dorfbewohner der Präfektur Weinan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi, dem Blut entnommen wurde, erinnerte sich daran, dass Polizisten einen Stapel Formulare mit den Namen aller männlichen Haushaltsmitglieder aller Altersgruppen hatten, die sich einer Blutentnahme unterziehen mussten.
Ein Dorfbeamter sagte ihm, dass die Datenbank mit den Blutproben bei Untersuchungen helfe. „Wenn eine Person gegen das Gesetz verstößt, kann der Umfang der Untersuchung auf Grundlage von Informationen der Blutproben eingegrenzt werden. Nur anhand von Fingerabdrücken zu ermitteln ist viel schwieriger.“
Ein anderer Insider der lokalen Regierung bestätigte diese Aussage. „Die Blutentnahme ist obligatorisch und dient zur Einrichtung einer nationalen Blutdatenbank. Im Falle eines Strafverfahrens kann der Verdächtige mit Hilfe der Datenbank sehr schnell lokalisiert und gefunden werden. Wenn jemand ein Verbrechen begeht, ganz egal wo, kann er oder sie gefunden werden.“
Die Polizei warnte einige Dorfbewohner, die nicht zur Blutentnahme bereit waren, dass ihre Namen an das Büro für öffentliche Sicherheit gemeldet werden würden. „In Zukunft wird sich das Büro nicht mehr um Angelegenheiten von Personen kümmern, die nicht bereit sind, ihr Blut testen zu lassen, auch wenn sie dies verlangen“, drohten die Beamten.
Eine lokale Polizeistation der Stadt Fuqing in der südöstlichen Provinz Fujian hat als Vorbereitung auf die siebte Volkszählung und der Einführung der dritten Generation von digitalen ID-Karten für Chinesen eine öffentliche Bekanntmachung über die Blutproben herausgegeben. Neben einem GPS-Modul, das den Standort der Person jederzeit verfolgt, speichert die neue Karte auch ihre biometrischen Daten, wie Blutgruppe und DNA-Informationen. Daher werden einige männliche Einwohner des Verwaltungsbezirks ausgewählt, um sich Blut entnehmen zu lassen. In der Mitteilung heißt es auch, dass diese Arbeit die Förderung der „genealogischen Kultur“ unterstützt und bei der „Verbesserung der sozialen Dienste“ hilft.
Die DNA-Erfassung, die daraus entstehenden Datenbanken und deren Nutzung werfen seit Jahren auf der ganzen Welt Fragen zu Menschenrechten und Datenschutz auf. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, Frankreich, hat im Dezember 2008 gegen Großbritannien geurteilt und die Behörden angewiesen, die von Hunderttausenden von Menschen ohne strafrechtliche Verurteilung erfassten DNA-Daten zu vernichten. Die Aufbewahrung dieser Daten verstoße gegen Artikel 8 der Menschenrechtskonvention. Dieser Artikel regelt das Recht auf Privat- und Familienleben, erklärte der EGMR.
Die Gefahr eines Missbrauchs der DNA-Daten ist in Ländern mit fragwürdiger Rechtsstaatlichkeit besonders groß. 2017 hat The Wall Street Journal berichtet, dass viele jener Arten, wie die chinesische Polizei Blutproben erfasst, in den Vereinigten Staaten komplett unzulässig wären. Dort dürfen Strafverfolgungsbehörden nur DNA-Proben von Kriminellen entnehmen, die wegen Straftaten verhaftet wurden – es sei denn, die Polizei holt eine gerichtliche Genehmigung oder persönliche Zustimmung ein.
Der gleiche Artikel erwähnt auch, dass China plant, bis 2020 die aktuelle DNA-Datenbank auf 100 Millionen Dateneinträge zu erweitern. Um dieses Ziel zu erreichen, entspricht die Anzahl der Datensätze, die China jedes Jahr erfassen muss, der Größe der nationalen Datenbank, für deren Errichtung die USA mehr als 20 Jahre gebraucht hat. Um dies zu erreichen, könnte jede Person – auch Kinder – gezwungen werden, eine DNA-Probe abzugeben.
DNA von Kindern ohne Wissen der Eltern heimlich erfasst
Ein Mitarbeiter des Gesundheitsamtes der Stadt Fuzhou in Fujian verriet Bitter Winter, dass er und einige seiner Kollegen im April in mehrere Dörfer innerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Stadt gefahren waren, um medizinische Untersuchungen an Kindergartenkindern durchzuführen –
vom Kleinkind bis zum 6. Lebensjahr. Ganz normale Routine, sagte er. Dem Gesundheitsteam schlossen sich auch drei Polizeibeamte der lokalen Polizeistation an. Zur Überraschung der Gesundheitsamtsmitarbeiter begannen die Polizeibeamten mit Hilfe der von ihnen mitgebrachten Kits, DNA-Proben von Jungen zu sammeln und die persönlichen Daten der Kinder zu registrieren, ohne deren Eltern zu informieren.
Die Polizei archivierte dann die, heimlich von diesen Kindern entnommenen, Proben in der Datenbank des Büros für öffentliche Sicherheit und behauptete, dies müsse getan werden, um „zu verhindern, dass Kinder einfach verschwinden“. Außerdem um mitzuhelfen, „ihre Eltern via DNA-Proben zu finden“.
Der Mitarbeiter des Gesundheitsamtes sagte weiterhin, dass es in der Gegend 30 Kindergärten gibt. Die meisten Jungen würden gar nicht mitbekommen, dass ihre DNA erfasst wird. Nach seinem Wissen hat bisher noch niemand die Eltern der Kinder informiert.
Ablehnung von Speichelproben –Einstellung der Rentenzahlung
Seit April dieses Jahres ist jeder Haushalt in den Bezirken Jinxian und Nanchang, beide im Zuständigkeitsbereich der Stadt Nanchang in der Provinz Jiangxi, gezwungen, Speichelproben für die DNA-Datenbank bereitzustellen. „Sollte es in einem Haushalt keine männlichen Mitglieder geben, dann müssen halt die Frauen ihren Speichel abgeben“, sagte ein Beamter der lokalen Regierung.
Ein Dorfbewohner vertraute Bitter Winter an: „Hätte ich mich gegen die Prüfung verwehrt, wäre meine Rentenzahlung eingestellt worden – und das wollte ich wirklich nicht. Der Dorfvorsteher und das Personal zur Probenentnahme saßen in meinem Haus und gingen einfach nicht. Was kann man da schon machen?
“Als einige Dorfbewohner nach dem Grund für die Erfassung der Speichelproben fragten, belog die Polizei sie mit den Worten: „Speichelproben sind zu eurem eigenen Schutz. Es geht darum, zu sehen, ob ihr irgendwelche Infektionskrankheiten habt. Denn solltet ihr krank werden, wird der Staat sich um euch kümmern.“
Eine Bewohnerin erklärte jedoch, sie sei nicht krank und müsse sich daher gar nicht testen lassen. Doch ein Beamter sagte: „Du wirst getestet, ob du willst oder nicht“, und packte, zusammen mit einem Kollegen die Frau an den Armen. Dann steckte er ihr ein Wattestäbchen in den Mund und entnahm gewaltsam eine Speichelprobe.
Artikel 8 der Internationalen Erklärung zu Humangenetischen Daten besagt, dass „zur Erfassung humangenetischer sowie proteomischer Daten oder biologischer Proben – sei es durch invasive oder nicht-invasive Verfahren – sowie für deren anschließende Bearbeitung, Verwendung und Speicherung eine vorherige, freie, auf Informationen beruhende und ausdrückliche Zustimmung eingeholt werden muss, die ohne finanzielle oder andere persönliche Gewinne erlangt wird“. Anscheinend ignoriert die KPCh diese internationale Bestimmung komplett.
Auch Gläubige im Visier für die DNA-Erfassung
Die umfangreiche Erfassung von DNA und anderen biometrischen Daten durch die KPCh hat die Menschen verunsichert. Bestimmte „Schlüsselpersonen“ und sensible Gruppen, die von der chinesischen Regierung überwacht werden, wie z.B. Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten und Mitglieder religiöser Gruppen, sind ebenfalls Zielgruppen dieser Zwangsblutentnahmen geworden. Mitglieder der Kirche des Allmächtigen Gottes (KAG), die von der KPCh langfristig unterdrückt werden, gehören ebenfalls dazu. Einige glauben, dass ihre DNA-Daten ein weiteres Mittel für die KPCh werden könnten, um sie für Verhaftungen aufzuspüren.
„Ein Zivilbeamter hielt mich fest an meinem Arm, während ein anderer das Blutentnahmegerät hielt und gerade in meinen Finger stechen wollte. Ich habe mich mit aller Kraft gewehrt, um die beiden abzuschütteln und schnell zu fliehen. Sie haben mich aber mit Gewalt zurück gezerrt“, berichtete ein Mitglied der KAG aus der Provinz Shaanxi Bitter Winter. Weil er nicht einwilligte, brachten ihn die Beamten gewaltsam zur Polizeistation. Vier Beamte drückten ihn auf einen Hocker nieder, entnahmen gewaltsam eine Blutprobe und erfassten seine Fingerabdrücke.