Interne Dokumente der Provinzregierungen enthüllen die Eskalation der brutalen Unterdrückung mit Hilfe von Propaganda und anschließender Festnahme von Gläubigen.
Bai Shengyi
Im Jahr 2018 wurden in China fast 24 000 Mitglieder der Kirche des Allmächtigen Gottes (KAG) verfolgt – und das einzig und allein wegen ihres religiösen Glaubens und ihrer Teilnahme an normalen religiösen Aktivitäten. Mindestens 11 000 von ihnen wurden verhaftet und 20 zu Tode gefoltert. Die Regierung setzt die Verfolgung der Gläubigen nun mit einer neuen Razzien-Runde fort. Den KAG-Angehörigen droht unmittelbare Gefahr.
Jiangxi: Massenindoktrination, um Rückhalt für die Unterdrückung zu gewinnen
Die KPCh bezeichnet jede unabhängige Religionsbewegung, die als regierungsfeindlich oder zu schnell wachsend betrachtet wird, als xie jiao bzw. heterodoxe Lehre. In einer xie jiao aktiv zu sein gilt als Verbrechen, das nach Artikel 300 des chinesischen Strafgesetzbuchs mit einer Haftstrafe von drei bis sieben Jahren „oder mehr“ geahndet wird. Die größte neue christlich-religiöse Bewegung, die KAG, wurde 1995 auf die xie jiao-Liste gesetzt.
2019 feiert die Volksrepublik China ihren 70. Geburtstag. Unter dem Vorwand, ein „sicheres und stabiles soziopolitisches Umfeld zu schaffen“, verstärkt die KPCh ihre „Anti-xie jiao“-Propaganda und indoktriniert die Öffentlichkeit, um die gesamte Bevölkerung gegen die KAG zu mobilisieren.
Am 15. April brachte ein Kreis der Stadt Pingxiang in der südöstlichen Provinz Jiangxi ein internes Dokument heraus. Darin ging es um eine Sonderkampagne zur Unterdrückung der KAG. Von jeder Regierungsbehörde wurde verlangt, der „Anti-xie jiao“-Arbeit hohe Priorität einzuräumen: Zusätzlich zu verstärkten Ermittlungen gegen Gläubige müssen sie dafür auch intensiv traditionelle und neue Medien einsetzen, um „Anti-xie jiao“-Propaganda zu verbreiten.
In dem Dokument werden auch Maßnahmen angeordnet, um den Wirkungskreis der Propaganda auszuweiten und mehr Menschen dazu zu bringen, die KAG zu meiden: An Nationalfeiertagen, wie dem Tag der Verfassung oder dem Tag der Nationalen Sicherheit, sollen sowohl „Anti-xie jiao“-Aktivitäten als auch öffentliche Veranstaltungen zur Förderung von „Kultur, Wissenschaft, Technologie und Gesundheit in ländlichen Gebieten“ stattfinden. Diese Aktivitäten und Veranstaltungen könnten „in Dörfern, Gemeinden, Schulen, Unternehmen und religiösen Versammlungsstätten“ stattfinden.
Weiterhin wird in dem Dokument festgelegt, dass die Daten, die über jedes identifizierte KAG-Mitglied im Rahmen der Ermittlungen gesammelt werden, in das „Verwaltungssystem für xie jiao-Daten“ der Öffentlichen Sicherheit eingegeben und in ein „Verwaltungsnetzwerk sowie in die Informationsplattform der Öffentlichen Sicherheit“ integriert werden müssen.
Drei Tage nachdem das Dokument herausgegeben wurde, führte die Polizei eine Razzia gegen eine lokale KAG-Versammlungsstätte durch und nahm zwei Kirchenleiter fest, die sich bis heute in Haft befinden.
Henan: Festnahme-Quoten für KAG-Mitglieder
In den Kreisen Lushi und Mianchi (beide im Zuständigkeitsbereich der Stadt Sanmenxia in der Zentralprovinz Henan) wurden am 29. Mai sieben KAG-Mitglieder festgenommen. Kirchenmitglieder berichteten, dass alle diese Gläubigen schon zuvor wegen ihres Glaubens festgenommen worden waren. Sie waren bei der Polizei bereits aktenkundig, was sie zur Zielscheibe von Beobachtungen gemacht hatte.
Ein Regierungsbeamter erklärte, dass die Lage für KAG-Mitglieder bedrohlich ist. Auf höherer Regierungsebene wurden heimliche Konferenzen abgehalten, um Festnahmen zu planen. Die Polizei muss Festnahmen durchführen, wenn sich drei oder mehr Personen versammeln. Das geschieht unter dem Deckmantel der Kampagne zur „Säuberung von Bandenkriminalität und Ausrottung des Übels“. Der Beamte berichtete auch, dass jede Lokalregierung eine Quote von mindesten 500 KAG-Mitgliedern zu erfüllen hat.
Bitter Winter hat im März ein internes Dokument einer Lokalregierung (Stadt Jiaozuo, Henan) erhalten. Darin wird eine einjährige Sonderkampagne zur Unterdrückung der KAG initiiert. Neun Kreisbehörden (darunter Staatssicherheitsbrigaden sowie die Behörden für Öffentliche Sicherheit, für Ermittlungen gegen Wirtschaftskriminalität und für Internetkontrolle) wurden damit beauftragt, die Razzien gemeinsam umzusetzen.
Laut Dokument sollen während der „Ausmerzungsphase“ vom 01. April bis zum 31. August die KAG-Leiter der höchsten Ebene festgenommen und die Kirchenfinanzen untersucht werden.
Anhui und Gansu: Gläubige verhaftet und Besitz beschlagnahmt
Im März brachte die Vereinigte Arbeitsfront des Provinzkomitees der östlichen Provinz Anhui ein internes Dokument heraus. Es trug den Titel Sonderkampagne zur Untersuchung von und zum Umgang mit christlicher Infiltration in der Provinz Anhui gemäß dem Gesetz und initiierte eine gegen die KAG gerichtete Kampagne, die von Mitte März bis Ende des Jahres dauern soll.
Ein KAG-Mitglied berichtete, dass in der Zeit vom 23. bis zum 30. Mai nacheinander mindestens sechs Kirchenangehörige in der Stadt Huaibei verhaftet worden sind.
In der Stadt Chuzhou führte die Polizei in der Zeit vom 11. bis zum 13. Mai Razzien gegen fünf Versammlungsstätten der KAG durch. Dabei wurden 20 Gläubige verhaftet sowie persönlicher und Kirchenbesitz in einer Höhe von ungefähr 70 000 RMB (ca. 9000 EUR) beschlagnahmt.
Am 22. April richtete das Büro für Öffentliche Sicherheit in Lanzhou, der Hauptstadt der nordwestlichen Provinz Gansu, neun Arbeitsgruppen ein, die Razzien organisieren und KAG-Mitglieder festnehmen sollten. Kirchen-Informationen zufolge wurden seit dem 30. April allein im Stadtbezirk Anning 14 Personen verhaftet, und die Polizei hat persönlichen und Kirchenbesitz in einer Höhe von ungefähr 160 000 RMB (ca. 20 000 EUR) beschlagnahmt.
„Am 22. April rief ich morgens um 06:30 Uhr meine Tochter an, aber keiner ging ans Telefon. Eine halbe Stunde später ging ich zu ihrem Haus, um nach ihr zu sehen. Dort fand ich Polizeibeamte vor, die meine Tochter und meinen Schwiegersohn im Schlafzimmer verhörten“, erzählte die Mutter einer verhafteten KAG-Angehörigen Bitter Winter.
Eine Quelle der Öffentlichen Sicherheit berichtete, dass einen Monat vor dieser Festnahme-Aktion heimlich Polizeibeamte dafür eingesetzt worden waren, um verdeckte Ermittlungen gegen KAG-Mitglieder durchzuführen und diese zu beschatten und zu überwachen. Damit sollte die geplante Festnahme-Quote erreicht werden.
Religiöse Verfolgung verschärft
Die Schikanen gegen Mitglieder der KAG und andere Gläubige in China nehmen trotz der zunehmenden internationalen Verurteilung des KPCh-Vorgehens weiterhin zu.
Bei der Vorstellung des Jahresberichts 2018 des Exekutivausschusses des US-Kongresses über China bezeichnete der Mitvorsitzende des Ausschusses, der Kongressabgeordnete Christopher H. Smith (R-NJ), die kommunistische chinesische Regierung unter Präsident Xi Jinping als „brutale Diktatur“, „die ihr härtestes Vorgehen gegen jeglichen religiösen Glauben seit der Kulturrevolution noch weiter verschärft.“
Beim Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahren gegen China vor den Vereinten Nationen im November 2018 wurden Verletzungen der Religionsfreiheit angeprangert. Es wurde darauf hingewiesen, dass „die Überwachungen, Festnahmen und Verfolgungen durch die Kommunistische Partei in der Zeit von 2014 bis 2018 dazu geführt haben, dass mindestens 500 000 Christen der Kirche des Allmächtigen Gottes (KAG) aus ihren Häusern geflohen und mehrere Hunderttausend Familien zerstört worden sind.“
Der Präsident der NGO FOREF (Forum for Religious Freedom Europe), Aaron Rhodes, sprach am 27. Juni 2018 im Europäischen Parlament auf einer Veranstaltung über Religionsverfolgung in China. Er sagte: „[Ich halte] die Verweigerung der Religionsfreiheit, einschließlich der Verfolgung von Mitgliedern der Kirche des Allmächtigen Gottes und die Verweigerung anderer grundlegender Menschenrechte in China, für überragende Probleme in der heutigen Welt.“