In einem schamlosen Spiel um Geld erklärten die Behörden eine Nachbarschaft zum Elendsviertel und verlangten trotz der Bitten der Bewohner, dass alle Häuser dort abgerissen werden.
Es ist schon schlimm genug, dass chinesische Regierungsbeamte einfach so in einen Ort kommen und Gebäude und Häuser als illegale Bauten erklären können, wie es ihnen gerade passt. Doch es ist weitaus schlimmer, wenn sie dann die rechtmäßigen Eigentümer dafür verfolgen, nur weil sie ihr Eigentum verteidigt haben.
Doch genau das haben Behörden im Ort Aojiang, im Bezirk Pingyang im Zuständigkeitsbereich der Präfekturstadt Wenzhou, in der östlichen Provinz Zhejiang getan.
Das Dorf Wubanqiao im Zuständigkeitsbereich des Ortes Aojiang ist ein Gewerbegebiet, das von Hochhäusern umgeben ist, in denen Bürger mehr als zehn Jahre lang ihre Häuser gebaut und eingerichtet haben – einige davon sind sogar drei oder vier Stockwerke hoch. Doch im Juli 2018, und komplett überraschend, war Gao Youshun, der Dorfsekretär von Wubanqiao der Meinung, das Wohngebiet des Dorfes sei ein „Elendsviertel“ – also ein Viertel mit stark beschädigten oder sogar einsturzgefährdeten Häusern – und meldete dies der Stadtverwaltung von Aojiang, die prompt den Abriss von Häusern anordnete.
Die Regierung erklärte ca. 900 Häuser, also fast die Hälfte, als „nicht genehmigte“ Gebäude. Jedem Haushalt wurde eine Entschädigung von weniger als 100.000 RMB (ca. 13.000 Euro) angeboten, obwohl nach Angaben von Branchenkennern die Häuser auf Grundlage der aktuellen Marktpreise, locker 500.000 RMB (ca. 65.000 Euro) wert waren.
Im August wurde mit dem Abriss begonnen, doch die Bewohner sahen dabei nicht schweigend zu. Bis November 2018 hatten sie mehr als 2 Millionen RMB (ca. 260.000 Euro) gesammelt, um ein, in Peking ansässiges, Rechtsberatungsteam zu beauftragen, eine Klage in ihrem Namen einzureichen. Doch als das Volksgericht von Wenzhou das Verfahren einleitete, unternahmen die, von den Dorfbewohnern beauftragten Anwälte aus irgendeinem unbekannten Grund gar nichts. Die große Summe, die für die Anwaltsgebühren ausgegeben worden war, war somit umsonst gewesen.
Dorfbewohner protestieren gegen den zwangsweisen Abriss ihrer Häuser.
Informierten Quellen zufolge waren am Morgen der Gerichtsverhandlung mehr als 100 Dorfbewohner auf dem Weg zum Volksgerichtshof von Wenzhou, als sie von der Polizei auf der Straße angehalten und zur Polizeiwache von Aojiang gebracht wurden.
„Es nützt überhaupt nichts, wenn ihr euch an die übergeordneten Behörden wendet“, sagte ein Polizist in aggressivem Ton. „Das sind alles unsere Leute. Ihr könnt Klagen einreichen so viel ihr wollt, ihr werdet am Ende immer hier bei uns landen.“ Dann wurden die Dorfbewohner, einer nach dem anderen, verhört. Einige von ihnen befürchteten, inhaftiert zu werden. Also hatten sie keine andere Wahl als klein beizugeben und ihre Klagen fallen zu lassen. Sie wurden am selben Abend dann auch wieder freigelassen.
Anschließend gingen die Dorfbewohner in den Bezirk Pingyang, um dort Gerechtigkeit zu erfahren, doch die Bezirksregierung dort wollte sich noch nicht einmal ihr Anliegen anhören.
Laut Dorfbewohner waren die betroffenen Häuser alle relativ neu, ohne Qualitätsprobleme und hatten alle die einheitlich von der Regierung herausgegebenen Hausnummern. Auch die Wasser- und Stromversorgung war normal abgerechnet worden. Jedes Wohnviertel hatte von der Regierung einen Namen zugewiesen bekommen.
„Wenn diese Häuser alle nicht genehmigte Gebäude sind, warum hat die Regierung dann gestattet, dass sie bereits seit so vielen Jahren stehen?“, fragte ein Dorfbewohner.
Als Reaktion auf die Klagen der Dorfbewohner erschienen am 14. Januar 2019 lokale Beamte im Dorf, begleitet von Elektrikern und 50 Sicherheitskräften mit Schutzschilden und langen Eisenstangen. Die Elektriker wurden angewiesen, die Wasser- und Stromversorgung zu kappen und alle Stromzähler aus den Häusern zu entfernen – all das dauerte eine ganze Woche.
In Anbetracht der bevorstehenden Zwangsabrisse akzeptierten einige Dorfbewohner die Entschädigung von weniger als 100.000 RMB (ca. 13.000 Euro) und verließen ihre Häuser. Einige Häuser wurden bereits abgerissen, noch bevor die Eigentümer die Entschädigung in ihren Händen hielten. Die Häuser jener Dorfbewohner, die das Angebot der Regierung abgelehnt hatten, wurden mutwillig beschädigt – man schlug Löcher in die Wände oder baute eine Treppe ab. Einige protestierende Dorfbewohner wurden sogar von Sicherheitskräften geschlagen und verletzt; andere wurden festgenommen und inhaftiert.
Als ein 70-jähriger Dorfbewohner sich beim Dorfsekretär beschwerte, weil sein Stromzähler ausgeschaltet worden war, wurde er zur örtlichen Polizeiwache gebracht und dort 24 Stunden lang festgehalten. Nachdem das gerade neu gebaute Haus einer weiteren Bewohnerin des Dorfes abgerissen worden war und sie dafür keine Entschädigung erhalten hatte, verlangte sie eine Erklärung von der Regierung. Stattdessen wurde ihr gedroht, man würde sie festnehmen, sodass sie daraufhin untertauchen musste.
Die Regierung hat Menschen angeworben, die Wohnhäuser mutwillig zu zerstören.
Im Juni 2018 wurde einem anderen Dorfbewohner, der gegen den Abriss protestiert hatte, vorgeworfen, er habe „offizielle Pflichten behindert“. Er wurde sechs Monate lang im Untersuchungsgefängnis des Bezirks Pingyang inhaftiert.
Einige ältere Dorfbewohner wollten ihre Häuser trotzdem nicht verlassen. Wenn es langsam dunkel wird, dienen ihnen jetzt Kerzen oder eine Taschenlampe als Licht. Sie kauften auch ein paar große Eimer, um Wasser in ihre Häuser zu tragen. Dorfbewohner berichten, dass diese Menschen von Informanten der Kommunalbeamten täglich überwacht werden.
Laut Quellen sind diese gewaltsamen Abrisse die Folge des starken Anstiegs der Grundstückspreise in der Region. Die Regierung möchte hier Grundstücke erschließen, um riesige Gewinne abzuschöpfen.
Bericht von Zhao Mingzhe