Chinesische Anti-Sekten-Wissenschaftler und -Aktivisten bezeichnen diese Bewegung als gefährliche Sekte, doch es ist unklar, wie aktiv die Bewegung heute überhaupt noch ist.
Massimo Introvigne
In KPCh-Schriften gegen Xie Jiao wird oft eine Gruppe erwähnt, die sich Apostelgemeinschaft (门徒会 Mentuhui) nennt. 2009 hat die Anti-xie jiao-Gesellschaft Chinas sogar einen Film gedreht, der sich gegen die Apostelgemeinschaft richtet und immer noch auf YouTube verfügbar ist (tatsächlich gibt es dort schon die zweite Fassung eines älteren Films). Aber worum handelt es sich bei dieser Gemeinschaft genau?
Wie so oft, wenn es um neue Religionsbewegungen in China geht, sind die Informationen spärlich und stammen häufig entweder von der KPCh oder von christlichen Kritikern. Dazu kommt, dass viele Mitglieder der Gemeinschaft sagen, dass manche Behauptungen über den Gründer übertrieben seien und eher dem Volksglauben mancher Anhänger entsprächen, als offiziellen Lehren der Bewegung.
Gründer der Apostelgemeinschaft war Ji Sanbao (季三保, 1940-1997). Die Behauptung, er sei am ersten Weihnachtsfeiertag im Jahr 1940 geboren, ist unter Umständen Teil der Hagiographie. Ji wurde nicht als Christ geboren, sondern konvertierte im Alter von 36 Jahren und trat der True Jesus-Kirche bei, einer großen, unabhängigen Pfingstkirche. Letztlich wurde er hauptberuflich Prediger und landesweit berühmt für seine Predigten, seinen Exorzismus und seine übernatürlichen Phänomene. Es wird nicht nur berichtet, dass er geheilt wurde und Visionen gehabt hat, sondern auch, dass er Wunder an Nahrungsmitteln, besonders an Korn, gewirkt hätte. Außerdem heißt es, dass er über einen langen Zeitraum hinweg fasten konnte und dass auf wundersame Weise Korn vom Himmel fiele, von dem er sich ernährte. Hier möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass Anhänger der Gemeinschaft heute sagen, dass manche der Wundergeschichten, die unter den Mitgliedern kursieren, weder offiziell bestätigt noch von Ji selbst verbreitet wurden.
Berichten zufolge verließ Ji die True Jesus-Kirche 1989 und gründete seine eigene Religionsbewegung. Der Name Mentuhui, Apostelgemeinschaft, rührt daher, dass er nach dem Vorbild der zwölf Apostel zwölf Jünger (门徒, mentu) ernannte. Wie es für neue Religionsbewegungen in China üblich ist, ist auch diese Gemeinschaft unter mehreren unterschiedlichen Namen bekannt. Einer ist „Enge Pforte in der Wildnis“ (旷野窄门), ein Name, der ganz offensichtlich biblische Bedeutung hat (Matthäus 7, 13-14: „Gehet ein durch die enge Pforte“), sich aber auch darauf bezieht, dass die Mitglieder sich in entlegenen Gegenden treffen mussten, um der KPCh-Überwachung zu entgehen.
Welche Behauptungen über Ji nun von ihm selbst stammen, ist ein Streitpunkt zwischen KPCh-nahen Wissenschaftlern und der Bewegung. Allgemeine Übereinstimmung herrscht dahingehend, dass Ji sich selbst als denjenigen bezeichnete, der „für Gott stand“ (神的替身), doch die genaue theologische Bedeutung dieser Bezeichnung ist in keinster Weise klar. Kritiker behaupten, dass Ji sich damit zu Jesus Christus erklärt habe, der auf die Erde zurückgekehrt sei – also zu Gott selbst, während die Bewegung dies differenzierter und weniger eindeutig darstellt. In den Schriften der Bewegung heißt es, dass es in der Bibel bezüglich des Messias Hinweise auf einen alten chinesischen Staat namens Qin (秦) gäbe, zu dem auch Shaanxi gehörte, wo Ji geboren wurde. Die Lehre der Gemeinschaft ist als „Lehre der Dritten Erlösung“ (三赎教) bekannt, was sich darauf bezieht, dass die Bewegung das dritte Zeichen der Erlösung – nach Noahs Arche und dem Kreuz von Jesus Christus – sei.
Wissenschaftler wie Emily Dunn und Fenggang Yang berichten, dass die Gemeinschaft über eine sehr ausgeklügelte Organisationsstruktur verfügt, das so genannte 7-7-System (七七制), das sieben Hierarchieebenen umfasst, von denen jede sieben Gruppen überwacht. Dieses System war bemerkenswert effektiv und nach Angaben der KPCh-Behörden wuchs die Bewegung innerhalb weniger Jahre auf mindestens 350 000 Mitglieder an.
1990 wurde die Gruppe verboten und steht seit 1995 auf die Liste der xie jiao. Genauso wie die anderen xie jiao wurde sie beschuldigt, Aufstände angezettelt und das Ende der Welt für das Jahr 2000 vorausgesagt zu haben, und war starken Repressalien ausgesetzt. Eine der Anschuldigungen lautete, dass Ji weiterhin angeblich wundersames Korn verteilen würde und seinen gläubigen Jüngern lehrte, sie könnten überleben, wenn sie nur zwei liang (100 Gramm) dieses Korns jeden Tag äßen – was zu einem weiteren Spitznamen für die Bewegung führte, nämlich Er Liang Liang (二两粮). Es ist nicht bekannt, ob dies wirklich stimmt, oder ob es eine Fehldeutung von Jis symbolischen Lehren über Nahrung und Korn ist. Bitter Winter-Kontakte in China berichten, dass die Mitglieder der Gemeinschaft tatsächlich glauben, dass besonders gläubige Anhänger ihr Korn auf wundersame Weise vermehren könnten. Die Menge des vermehrten Korns könnte die Menge des Korns übersteigen, die sie täglich aßen. Und wenn ein Gläubiger dann täglich netto weniger als zwei liang zu sich nahm, wäre das ein Beweis dafür, dass er besonders gläubig war.
Laut der KPCh starb Ji im Dezember 1997 beim Versuch mit seinem Auto eine Straßensperre zu durchbrechen, während sein Nachfolger Yu Shiqiang (蔚世强) 2001 an Krebs verstarb. Dessen Nachfolger sei wiederum Chen Shirong (陈世荣) gewesen, der zurzeit eine 13-jährige Gefängnisstrafe verbüßt. Die KPCh berichtet weiterhin über Festnahmen von Mitgliedern der Gemeinschaft, obwohl davon ausgegangen wird, dass die Bewegung nach dem Tod ihres Anführers und aufgrund der Verfolgungen deutlich geschrumpft ist.