Das Gericht über China in London verabschiedete diese Woche das endgültige Urteil zum Organhandel, welches mit trauriger Erleichterung und verhaltenem Jubel begrüßt wurde.
Ruth Ingram
Die Verkündung des Urteils erfolgte vor einer vollbesetzten Kammer: Es wurde als unwiderlegbar befunden, dass China Mittäter bei der Verstümmlung unschuldiger Menschen zur Organentnahme war und ist, und dass jeder, der – in welchem Umfang auch immer – Handel mit China betreibt, sich darüber bewusst sein sollte, dass er Handelsbeziehungen mit einem „Verbrecherstaat“ aufrechterhält.
Kronanwalt Sir Geoffrey Nice, ehemaliger Ankläger im Verfahren gegen Milosevic in Den Haag, wandte sich an ein 200-köpfiges Publikum bestehend aus Opfern, Medizinern, Rechtsexperten, Mitgliedern der Öffentlichkeit, Übersetzern, Journalisten und Zeugen des grausamen Handels mit geernteten Organen. Er verkündete das Urteil, auf das diese seit Eröffnung des Verfahrens im vergangenen Jahr gewartet hatten.
Dr. Enver Tohti, einer der wichtigsten Zeugen, der selbst Organe von lebenden Gefangenen hatte entnehmen müssen, pries das Urteil als „Triumph der Menschenrechtsbewegung“. Nach der Urteilsverkündung erklärte er, dass dies ein durchschlagendes Schuldurteil „gegen die VRC und deren Organernte-Kampagne“ sei.
Worum handelt es sich bei dem Gericht über China?
Das Unabhängige Volksgericht zur Untersuchung der Zwangsentnahme von Organen an Gewissensgefangenen in China war von der International Coalition to End Transplant Abuse in China (ETAC) einberufen worden. 2014 war das Konsortium ins Leben gerufen worden, das Informationen zur Verfolgung von Falun Gong-Angehörigen in China und der an diesen Personen vorgenommenen Organernte sammeln sollte. Die internationale Kommission wurde im letzten Jahr dazu aufgefordert, ein Gericht einzuberufen, um die gesammelten Beweise objektiv zu überprüfen und festzustellen, ob die VRC Verbrechen begangen habe oder nicht. Die Anhörungen zogen sich über fünf Tage im Dezember 2018 und im April dieses Jahres hin.
Bei der Urteilsverkündung legte Kronanwalt Sir Geoffrey Nice viel Wert darauf, die Unabhängigkeit des Gerichts zu betonen, und darauf hinzuweisen, wie sehr es dem Gericht widerstrebt hatte, die VRC der Mittäterschaft anzuklagen, da diese keine Bereitschaft gezeigt hatte, an dem Verfahren teilzunehmen. Doch trotz der dröhnenden Stille seitens Pekings und dessen Widerstreben, sich bezüglich seiner Rolle im Organhandel zu verteidigen, war das Gericht überzeugt davon, dass ausreichend Beweise für dieses vernichtende Urteil vorliegen.
Das Gericht stellte fest, dass Falun Gong-Angehörige die vornehmlichen Opfer der Ernte waren. Allerdings wurde durch die seit 2017 durchgeführte, aktuelle umfassende Erfassung von DNA-Informationen jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes der indigenen uigurischen Gemeinde in Xinjiang ein Pool potentieller Spender in China geschaffen, der nichts Gutes ahnen lässt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass in diesem Zusammenhang noch Beweise über Organernte auftauchen könnten. Die aktuelle Internierung von geschätzt drei Millionen Uiguren in sogenannte Transformation durch Bildung-Lager hat dazu beigetragen, dass diese mittlerweile als besonders gefährdete Gruppe gelten. Im zusammenfassenden Urteilsbericht des Gerichts steht, dass „es keine Hinweise darauf gibt, dass die mit Chinas Transplantationsindustrie in Verbindung gebrachte Infrastruktur abgebaut wurde. Zusätzlich dazu lässt das Fehlen einer zufriedenstellenden Antwort auf die Frage, aus welcher Quelle die allzeit verfügbaren Organe stammen, darauf schließen, dass die Zwangsorganernte bis heute weiterhin betrieben wird.“
Die Kampagne gegen Falun Gong
In dem Bericht gibt es aussagekräftige Beweise dafür, dass die Falun Gong-Bewegung gezielt zerstört werden soll. Im Urteilsspruch wurden die Falun Gong-Mitglieder als Personen bezeichnet, die friedlich nach „Wahrheit, Mitgefühl und Geduld“ streben. Schockierende Informationen über die brutale Ausmerzung der Bewegung durch den ehemaligen KPCh-Führer Jiang Zemin bezeugten die gewalttätigen Absichten gegenüber den Falun Gong-Mitgliedern. 1999 verkündete der Vizeministerpräsident des Staatsrats der VRC, Li Lanqing, die Anweisung des Generalsekretärs Jiang, der verlangt hatte, „ihren Ruf [den der Falun Gong-Mitglieder] zu zerstören, sie finanziell zu brechen und physisch zu zerstören.“ 2001 verkündete Jiang persönlich: „Es macht nichts, wenn sie zu Tode geprügelt werden. Tragen sie Behinderungen von den Schlägen davon, dann gilt dies als Selbstverstümmlung. Wenn sie sterben, gilt es als Selbstmord.“
Aus dieser offensichtlichen Absicht der VRC Falun Gong-Mitgliedern Schaden zuzufügen, schloss das Gericht, dass diese „keine Probleme damit hätte, ihnen alles mögliche anzutun“ und fügte hinzu: „Sie konnten sie bequem als Spenderpopulation für die Krankenhäuser in der VRC verwenden, denen durch Zwangsorganernte ihre Organe auf Bestellung entnommen werden konnten.“
Das Gericht stellte fest, dass „mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass tatsächlich Falun Gong-Mitglieder als Quelle – vermutlich als vornehmliche Quelle – für Organe aus Zwangsorganernte verwendet wurden.“
Besonders wurde in dem Bericht auf Beweise hingewiesen, die Organentnahme ohne vorherige Feststellung des Hirntods belegen. Außerdem wurden Zeugenaussagen erwähnt, die bestätigen, dass lebenden Falun Gong-Mitgliedern Organe entnommen wurden, dass Falun Gong- und uigurische Gefangene ausgesiebt wurden und dass routinemäßig „brutale und entmenschlichende“ Folter – unter anderem auch Vergewaltigung und sexuelle Gewalt – an Mitgliedern dieser Gruppen durchgeführt wurde.
Investigative Telefonanrufe bei Krankenhäusern in den Jahren 2006 und 2018, bei denen die Anrufer vorgaben, ein Transplantat zu benötigen, lieferten sprechende Beweise dafür, dass zahlreiche Kliniken Organe von Gefangenen zur Transplantation nutzten. Dabei griff eine große Zahl unter Umständen oder tatsächlich auf Falun Gong-Mitglieder zurück, während andere zugaben, dass die Quelle der Organe geheim sei. Es war eindeutig, dass diejenigen, von denen die Organe stammen sollten, zur Zeit des Anrufs noch am Leben waren, dass aber die Organe auf Bestellung zeitnah zur Verfügung gestellt werden konnten. Dem Gericht wurden erschütternde Beweise dahingehend zur Verfügung gestellt, dass Personen, die ein Organtransplantat benötigen, eine neue Leber oder ein neues Herz in China bestellen können und dieses innerhalb von nur zwei Wochen erhalten würden.
Irreführende KPCh-Statistiken
Die exponentielle Zunahme von Organtransplantationen in der VRC geht mit einer unerklärlichen Diskrepanz hinsichtlich der Verfügbarkeit freiwilliger Spender einher. Da seit 2014 offiziell keine hingerichteten Gefangenen mehr als Organquellen genutzt werden, hätte die Zahl der Transplantationen eher abnehmen müssen. Stattdessen nimmt sie kontinuierlich zu. Im März 2013 brüstete sich Huang Jiefu, der Verantwortliche für den Ausbau der Transplantat-Kapazitäten in der VRC, gegenüber der Guangzhou Daily, dass er 2012 über 500 Lebertransplantationen durchgeführt hätte. Ein weiterer Chirurg, Zhu Jiye, der Leiter des Instituts für Organtransplantation an der Universität Peking, berichtete, dass in seinem Krankenhaus in einem bestimmten Jahr 4000 Leber- und Nierentransplantationen durchgeführt worden seien – was 33 % der gesamten 12 000 Transplantationen ausmacht, die von der Regierung alleine für dieses Krankenhaus angegeben wurden.
Aufgrund der Auswertung dieser irregulären, von der VRC zur Verfügung gestellten Daten, kam das Gericht zu der Überzeugung, dass die offiziellen Regierungsstatistiken gefälscht wurden. Es wurde für glaubwürdig befunden, dass jährlich zwischen 60 000 und 90 000 Transplantationen durchgeführt wurden und dass die Zahl der offiziell verfügbaren Spender sich 2017 auf 5146 belief. Fazit des Gerichts war, dass hier eine „nicht nachvollziehbare Diskrepanz“ zu beobachten sei, aus der man darauf schließen könne, „dass es eine oder mehrere weitere Quellen für gewerbetypisierte Organe gegeben haben muss.“ Die schonungslose Schlussfolgerung daraus war, dass „es einen Spenderpool gegeben haben muss, der in den VRC-Dokumenten nicht genannt wurde.“
Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Obwohl vieles bei diesem Organernte-Skandal auf einen Völkermord hinweist, ist das Gericht nicht so weit gegangen, dies in die Anklage aufzunehmen, da die Definition rechtlich nicht eindeutig ist. Tatsächlich wurden manche Gefangene freigelassen und es bestanden auch Zweifel über die Absichten der in diese Angelegenheit verwickelten Personen. Allerdings erklärte das Gericht das Vorgehen einstimmig als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Regierungen Großbritanniens und Australiens kritisiert
Es wurde gesondert darauf hingewiesen, dass die Regierungen Großbritanniens und Australiens sich einer unabhängigen Überprüfung der Anschuldigungen und der Faktenlage bei mehreren Gelegenheiten widersetzt hätten. „Man sollte erwarten, dass derartige Anschuldigungen, die – gemessen an der Todesrate – so schwer wiegen wie die Anschuldigungen gegen die schlimmsten politischen Massenmörder des 20. Jahrhunderts, den Gedanken wert wären, die dringlichsten und politisch wirksamsten Maßnahmen zu ergreifen, die in dieser Welt möglich sind“, erklärte das Gericht in seiner Abschlussbemerkung und fügte hinzu: „Von Großbritannien und Australien ist das aber anscheinend zu viel erwartet.“ Im Gegensatz zu den USA, die eine andere Haltung einnahmen.
Dr. John Chisholm, Vorsitzender der Medizinischen Ethikkommission des Britischen Ärzteverbands (BMA), reagierte auf die Veröffentlichung des endgültigen Gerichtsurteils in einer Pressemeldung auf der BMA-Webseite wie folgt: „Das heute von dem Gericht verkündete Urteil erfüllt uns mit großer Sorge.“ Weiter steht dort: „Das Praktizieren von Zwangsorganernte stellt eine schwerwiegende und fortwährende Verletzung einer ganzen Reihe unveräußerlicher, grundsätzlicher Menschenrechte dar, unter anderem des Rechts auf Leben, und in manchen Fällen des Rechts darauf, dass niemand der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf.“ Außerdem steht dort, dass „jegliche Teilnahme von Ärzten an Zwangsorganernten aus diesem Grund unrechtmäßig und unethisch ist und im Gegensatz zu den ethischen Grundsätzen des Weltärztebunds steht. Die vorrangige Pflicht aller Ärzte besteht darin, das Wohlbefinden der Patienten zu fördern – und allem voran – ihnen keinen Schaden zuzufügen.“
Die BMA rief die Volksrepublik China dazu auf, eine „gründliche, unabhängige Untersuchung zur Organernte zu ermöglichen und die ethischen Grundpflichten der Ärzte zu schützen, indem sie sicherstellt, dass Ärzte niemals an solchen Praktiken teilnehmen.“
In Hinblick auf Großbritannien rief die BMA die Regierung dazu auf, „angesichts der Gerichtsbefunde ihre Position noch einmal zu überdenken und ihren Einfluss innerhalb der internationalen Gemeinschaft geltend zu machen, um sicherzustellen, dass eine umfassende, gründliche Untersuchung stattfindet.“
Bürgerengagement angemahnt
Das Gericht rief in seinen Abschlussworten die Regierungen, Einzelpersonen, Aktivisten und engagierten Politiker dazu auf, angesichts der Beweislage für sich selbst zu entscheiden, ob Verbrechen begangen wurden, und „alles zu unternehmen, was sie angesichts dieser hinsichtlich der in der VRC erfolgten und immer noch durchgeführten Zwangsorganernte aufgedeckten Grausamkeit für ihre Pflicht halten.“
„Tragischerweise ist es durch das unüberprüfte Handeln dazu gekommen, dass zahlreiche Menschen einen schrecklichen und unnötigen Tod erleiden mussten – im Namen von Zielen, welche die zukünftigen Nachfolger der derzeitigen chinesischen Regierenden als zu keiner Zeit notwendig für das Wohlergehen und die Entwicklung ihres Staates erkennen werden“, schloss das Gericht.