Staatlich genehmigte Kirchen werden jetzt nach einem neuen Kontrollsystem bewertet – jeder religiösen Versammlungsstätte, die Punkte verliert, weil sie der Regierung nicht gehorcht, droht die Schließung.
von Jiang Tao
In einem Kreis in der chinesischen Zentralprovinz Henan werden seit März alle Versammlungsstätten, die zu den fünf offiziellen Religionen in China gehören, anhand eines Fünf-Sterne-Bewertungssystems eingestuft. Die Vereinigte Arbeitsfront-Behörde des Kreises hat ein Dokument mit dem Titel Maßnahmen zur Sterne-Bewertung von Versammlungsstätten für religiöse Aktivitäten herausgegeben. Darin wird festgelegt, dass nur Andachtsstätten, die 95 oder mehr Punkte erreichen, fünf Sterne erhalten. Versammlungsstätten mit 90 bis 94 Punkten erhalten vier Sterne, von 85 bis 89 Punkten gibt es drei, von 80 bis 84 zwei und von 75 bis 79 einen Stern.
Versammlungsstätten, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nur 50 bis 74 Punkte erhalten, müssen für ein Jahr lang sämtliche Aktivitäten einstellen und sich „Korrekturmaßnahmen“ unterziehen. Außerdem soll die Zusammensetzung des Verwaltungskomitees der Versammlungsstätte geändert werden. Diese Anforderung widerspricht der bestehenden Praxis, die Mitglieder des Komitees von der Gemeinde wählen zu lassen. Die Zwei Chinesischen Christenräte und die Regierung haben kein Recht, Mitglieder des Komitees zu ernennen oder zu entlassen. Religiöse Versammlungsstätten, die sich „Korrekturmaßnahmen“ verweigern, sowie Versammlungsstätten, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren weniger als 50 Punkte erhalten, bekommen die Registrierungsurkunde für ihre Versammlungsstätte entzogen.
Die Überprüfung zur Sterne-Vergabe findet jedes Quartal statt. So soll eine „dynamische Verwaltung“ der religiösen Versammlungsstätten gewährleistet werden, heißt es im Dokument. Für die Gemeindemitglieder bedeutet diese Art von Verwaltung jedoch in Wirklichkeit „dynamische Bedrohung“, denn sie stehen unter ständigem Druck, ihre Kirche schützen zu müssen.
Wofür gibt es Punkteabzug?
Zehn Punkte Abzug gibt es, wenn entdeckt wird, dass in einer Versammlungsstätte Neonlichter, Lautsprecher oder Leuchtkreuze angebracht sind. Auch wenn religiöse Verse und andere religiöse Materialien an Gläubige verteilt werden. Ebenso viele Punkte werden abgezogen, wenn die Kirchenleute ohne guten Grund nicht an den, von der Regierung und den Zwei Chinesischen Christenräten organisierten Unterrichtsstunden, Konferenzen und Trainingsseminaren teilnehmen.
Wenn die Gemeindemitglieder nicht ausreichend vertraut mit den staatlichen Vorschriften, Gesetzen und Regelungen zur Religion sind, werden einer Kirche fünf bis zehn Punkte abgezogen. Auch für den Kirchenbesuch eines KPCh-Mitglieds, der nicht in Zusammenhang mit dessen Arbeit steht, gibt es fünf Punkte Abzug.
Es gibt ein paar „Vergehen“ denen zufolge einer Versammlungsstätte sämtliche Punkte entzogen werden können. In diesem Fall wird ein „direktes Veto“ verhängt. Zu diesen Vergehen zählen: Ungehorsam gegenüber Anweisungen von Regierungsinstitutionen; Organisation kollektiven Widerstands gegen die Entfernung von Kreuzen oder gegen andere staatliche Strafmaßnahmen; Kommunikation mit oder Aufnahme von Mitgliedern von Religionsgruppen, die von der Regierung als xie jiao eingestuft wurden, oder Mitgliedern ausländischer Religionsgruppen; Betreiben einer Sonntagsschule oder Organisation von Winter-/Sommerlagern usw.
Wer Hauskirchen meldet, gewinnt Punkte
In dem Dokument werden vier Möglichkeiten aufgelistet, mit denen Andachtsstätten ihre Position verbessern können, indem sie ihre Gesamtpunktezahl erhöhen. Die erste lautet: „Für die proaktive Meldung von illegalen religiösen Aktivitäten, xie jiao-Mitgliedern und ausländischer Infiltration werden pro gemeldetem Fall fünf Punkte verliehen.“ Anders ausgedrückt: Kirchen, denen die Schließung droht, können diese möglicherweise verhindern, indem sie eine aktive Versammlungsstätte einer Hauskirche melden. Dies ist auf Linie mit der Politik der KPCh, die versucht, Konflikte zwischen der Drei Selbst-Kirche und den Hauskirchen sowie den Kirchen mit Verbindungen ins Ausland zu schüren.
Wenn eine religiöse Versammlungsstätte gut mit den Anwohnern in der Nachbarschaft auskommt und während einer Untersuchung keine Probleme gemeldet werden, kann sie fünf Punkte erhalten. Wenn eine Andachtsstätte sich an die Gesetze und Regelungen hält und in der Akte stets vermerkt wurde, dass sie den Anweisungen der übergeordneten Verwaltungseinrichtungen Folge leistet und sie von den, für Religiöse Angelegenheiten zuständigen, Lokalbehörden positiv bewertet wird, kann sie weitere fünf bis zehn Punkte erhalten.
Außerdem kann eine Kirche fünf Zusatzpunkte gewinnen, wenn sie die Predigten mit Texten anreichert, die im Zusammenhang mit „die Partei und das Land lieben“ stehen und die Kirche proaktiv „sinisiert“, d.h. „proaktiv die Anpassung der Religion an die sozialistische Gesellschaft fördert.“
Ausweitung des Sozialen Bewertungssystems?
Das Punktesystem für religiöse Versammlungsstätten scheint eng verbunden mit dem berüchtigten Sozialen Bewertungssystem. Dieses System – das 2020 vollständig eingeführt sein soll – überwacht und bewertet alle Bürger, um deren soziales Ansehen zu bestimmen. Die Bewertung (Punktezahl) bestimmt darüber, ob jemand reisen darf, ob er bei der Arbeit befördert wird, ob er ein Auto oder eine Immobilie kaufen darf – und sogar, welche Schule seine Kinder besuchen dürfen. Das System wird von der Regierung als Werkzeug zur Schaffung einer „Kultur der Integrität“ und zur Stärkung „des Vertrauens in der gesamten Gesellschaft“ dargestellt. In Wirklichkeit ist es jedoch nur eine weitere Methode der Regierung, um jeden, jederzeit zu überwachen und zu lenken.
Gläubige Menschen und Andachtsstätten stehen in China bereits unter intensiver Beobachtung. Wenn jetzt noch das Soziale Bewertungssystem und das Bewertungssystem für religiöse Versammlungsstätten ins Spiel kommen, wird jegliches Verhalten das nur das geringste Anzeichen auf Widerstand gegen die Regierung birgt, erfasst und aufgezeichnet werden. Das wird letztendlich dazu führen, dass selbst die offiziell anerkannten religiösen Versammlungsstätten schließlich geschlossen werden. Eine Unmenge von Beweisen zeigt, dass die KPCh alle Arten von Melde- und Bewertungssystemen nutzt, um gläubige Menschen oder Dissidenten zu unterdrücken. Dabei überwacht sie jede Bewegung von ihnen und schränkt ihre Handlungsfreiheit ein – es ist ihnen zum Beispiel nicht erlaubt, ein Flugticket zu kaufen.