Die Behörden belästigen weiterhin Laden- und Restaurantbesitzer der Han-Ethnie und fordern die obligatorische Teilnahme an „Anti-Terrorismus“-Maßnahmen, die sich gegen ihre muslimischen Landsleute richten.
von Chang Xin
Im März veröffentlichte das Informationsbüro des chinesischen Staatsrats ein Whitepaper mit dem Titel Der Kampf gegen den Terrorismus und Extremismus und der Schutz der Menschenrechte in Xinjiang. In der Darstellung der Erfolge bei der Unterdrückung der lokalen Muslime, die allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihres Glaubens als Terroristen gebrandmarkt werden, heißt es, dass der Kampf gegen den Terrorismus und den Extremismus bedeutende Zwischenergebnisse erzielt und die Grundrechte aller ethnischen Gruppen in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang gewährleistet hat. „Die ethnischen Gruppen von Xinjiang profitieren nun von engeren Beziehungen durch Kommunikation, Austausch und Vermischung. Die Menschen haben ein viel stärkeres Gefühl von Erfüllung, Glück und Sicherheit“, prahlt das Dokument.
In Wirklichkeit bedeutet das „erfüllte und glückliche“ Leben für die Bewohner Xinjiangs, dass nach einigen Berechnungen fast 3 Millionen Muslime in Transformation durch Bildung-Lager geschickt wurden, während die Kinder der Inhaftierten in Institutionen eingesperrt sind, in denen sie gezwungen sind, ihre Kultur, Sprache und ethnische Identität durch „Hanifizierung“ und ideologische Indoktrination aufzugeben. Diejenigen, die noch frei sind, führen ein Leben unter allgegenwärtiger Überwachung, müssen ihre Gesichter scannen, um in ihre Häuser zu gelangen, und werden von ihren Han-Nachbarn und Geschäftsleuten bewacht, die ihrerseits zur Anschaffung von Kampfschutzausrüstung verpflichtet sind und gezwungen werden, an „Anti-Terror“-Übungen und Patrouillenrazzien teilzunehmen. Wenn sie sich weigern oder nicht eifrig genug sind, werden ihre Unternehmen schikaniert und es drohen ihnen schwere Konsequenzen. All das im Namen der sozialen Stabilität, behaupten die chinesischen Behörden.
Wie Bitter Winter mehrfach berichtet hat, hat der „Krieg des Volkes gegen den Terror“, wenn normale Bürger zur gegenseitigen Überwachung und Kontrolle mobilisiert werden, entgegen den offiziellen Proklamationen der KPCh nur zu Unruhe und Spannungen geführt.
Laut einer Han-Chinesin, die mit ihrer Familie in Xinjiang ein Restaurant betreibt, nehmen die Verpflichtungen für Unternehmen im Namen der Terrorismusbekämpfung kontinuierlich zu. Sie sagte, dass sie seit Kurzem einen Wachmann für ihr Restaurant einstellen müsse – eine Person im Alter zwischen 20 und 45 Jahren, der eine Kampfschutzausrüstung zu tragen habe. Die Kosten für die Einstellung einer solchen Person betragen etwa 4000 RMB (ca. 450 EUR) pro Monat. Für ein kleines Unternehmen ist das eine Menge Geld, das nicht jeder Geschäftsinhaber zur Verfügung hat. Alternativ können die Inhaber natürlich auch selbst Wachpersonal spielen. Daher kocht die Restaurantbesitzerin und erledigt andere Aufgaben im Restaurant nun in einer kugelsicheren Weste samt Schutzhelm.
„Die Weste und der Helm sind sehr schwer und wenn ich beide trage, schwitze ich enorm“, erklärte die Frau. „Wenn ich in der Küche stehe wird meine Kleidung am Rücken oft nass. Es ist sehr unangenehm und hart, so zu arbeiten. Meine Schultern werden vom Gewicht wund – das alles ist sehr ermüdend.“
Aufgrund häufiger Kontrollen hat die Frau Angst vor den Folgen, sollte sie nicht die gewünschte Schutzkleidung tragen. Außerdem befürchtet sie, dass sie ihr Geschäft verlieren könnte, wenn sie die Vorgaben der Regierung nicht erfüllt.
Zuvor war ihr schon zweimal befohlen worden, das Restaurant zu schließen, weil sie nicht die richtige Anti-Terror-Ausrüstung getragen hatte. Beide Male blieb das Restaurant für drei Tage geschlossen, was zu Verlusten von fast 6000 RMB (ca. 750 EUR) führte. Nicht nur das, sondern sie musste auch zum örtlichen Gemeindeamt gehen, um an einer Dreitages-Schulung zur „Terrorismusbekämpfung“ teilzunehmen. „Ich musste das Anti-Terror-Gesetz abschreiben, welches 26 Seiten umfasst. Das hat mich zwei Tage gekostet“, erzählte sie. „Ein kleines Unternehmen, wie meins, zu führen, ist jetzt nicht einfach. Man muss in Xinjiang viel ertragen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.“
Nach Angaben der Frau sind Geschäftsinhaber nun auch dazu verpflichtet, eine App auf ihren Mobiltelefonen zu installieren, die sie mit einem Alarmton informiert, wenn die Behörden Anti-Terror-Übungen einberufen oder sie auf Patrouille gehen müssen. Die Teilnahme daran ist obligatorisch und alle, die es wagen, sich zu weigern, riskieren die Schließung ihres Unternehmens und müssen Zeit in „Schulungsklassen“ absitzen.
„Sobald wir den Alarm hören, müssen wir innerhalb von zwei Minuten an den vorgegebenen Ort kommen oder als Folge die Schließung des Betriebes ertragen“, sagte die Restaurantbesitzerin. Die Frau erklärte, dass man während der Patrouille nach potenziellen „Terroristen“ suchen müsse. Stößt man auf Verdächtige, müssen sie sofort handeln – sie dürfen sich weder zurückziehen noch auf Verstärkung warten.
„Wenn wir fliehen oder erst einmal abwarten, werden wir verhaftet und inhaftiert“, erklärte die Frau wütend. „Die Polizei soll doch die Sicherheit der Menschen wahren. Wenn wir, die einfachen Menschen, das nun tun, warum brauchen wir dann eine Polizei?“ Aufgrund der harten Strafen und der häufigen Besuche der Polizei hat sie jedoch keine andere Wahl, als den Vorgaben zu gehorchen – egal wie hanebüchen diese sind.
Einige Ladenbesitzer konnten eine solche intensive Kontrolle nicht mehr ertragen und verließen Xinjiang – ganz und gar nicht überzeugt von dem „erfüllten und glücklichen“ Leben in einer Region, die inzwischen zum größten Gefängnis der Welt geworden ist.