Eine Theatertruppe tourt gerade mit einem propagandistischen Bühnenstück durch die Dörfer in der Provinz Jiangxi. In der Aufführung werden die Menschen dazu gedrängt, ihren Glauben an Gott durch die Anbetung der Regierung zu ersetzen.
Wang Yong
Der Ausdruck „Religion ist das Opium des Volkes“ wurde von dem deutschen Ökonomen und Sozialrevolutionär Karl Marx (1818-1883) vor fast 180 Jahren geprägt. Er wurde von den kommunistischen Regierungen im 20. Jahrhundert häufig zitiert und erlebt heute ein Comeback in China. Die KPCh verwendet den Ausdruck gerne dazu, alles Schlechte, das im Land passiert, zu erklären. Laut den Behörden ist Religion ein feudaler Aberglaube und eine imperialistische Kulturinvasion, denen ein Ende bereitet werden muss. Religion soll durch fragloses Vertrauen in die Partei und deren Anbetung ersetzt werden, und nicht länger den Fortschritt behindern, der in eine strahlende, blühende Zukunft führt.
„Unter dem Einfluss der religiösen Kultur haben die Dorfbewohner einen niedrigen Bildungsgrad und leben ein verarmtes und rückständiges Leben. Sie geraten in einen Teufelskreis: Je verwirrter sie werden, desto religiöser werden sie, und das wiederum verwirrt sie umso mehr. Der ‚Kampf gegen Armut‘ hat begonnen…“
Das sind die Eröffnungsworte des Theaterstücks Das Evangelium (福音), mit dem die Kunst- und Kulturtruppe des Kreises Yugan aus der Stadt Shangrao in der Provinz Jiangxi im Südosten Chinas gerade durch die Dörfer im Kreis tourt.
Video 1: Aus der Eröffnungsszene des Theaterstücks Das Evangelium.
Das zentrale Thema von Das Evangelium ist die Armutslinderung. Armut ist eines der Hauptprobleme des ländlichen Chinas und Präsident Xi Jinping hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Armut bis 2020 zu beseitigen. Dabei werden oft fragwürdige Methoden angewendet, wie zum Beispiel die Zerstörung der Häuser, in denen sich verarmte Haushalte befinden, wodurch die Menschen in die Obdachlosigkeit getrieben werden, oder das Verbergen der Armen, um die gesetzten Quoten zu erreichen. Im Theaterstück wird die Geschichte eines abgelegenen, verarmten Dorfes an den Ufern des Poyang, dem größten Süßwassersee in China, erzählt. Auf der Bühne wird es so dargestellt, als sei der Hauptgrund für die Armut des Dorfes der religiöse Glaube der Dorfbewohner, die Christen sind. Im Laufe des Stücks geben die Dorfbewohner unter der Leitung eines neuen Parteisekretärs ihren Glauben auf, werden reich und finden ihr neues „Evangelium“: „Nur die Kommunistische Partei kann uns den Weg zum Glück weisen.“
Video 2: Am Ende des Stücks erklärt die weibliche Protagonistin: „Ich bin Kommunistin… Ich folge dem Beispiel der Parteikomitees der Provinzen, regierungsunmittelbaren Städte und Kreise sowie des Zentralen Parteikomitees. Ich folge dem Beispiel des Generalsekretärs Xi.“
Ein Dorfbewohner, der die Aufführung besucht hat, erklärte, dass die Regierung mit diesem Propagandastück „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“ möchte, nämlich gleichzeitig gegen den Glauben vorgehen und die Erfolge der Armutslinderung hervorheben. Doch nicht jeder lässt sich von diesem Stück beeindrucken. Bei dem eben erwähnten Dorfbewohner wurde das Ziel nicht erreicht: „Dieses Stück ist ein kompletter Schwindel“, meinte er. „Tatsächlich ist es so, dass das ganze Geld für die Armutslinderung von den Regierungsbeamten unterschlagen wurde. Sie haben den kleinen Leuten kein bisschen geholfen, aus der Armut herauszukommen und Wohlstand zu erreichen. Sie machen diese Propaganda jetzt nur, um die Religion zu boykottieren.“
Ein Christ vor Ort erklärte: „In einer Aufführung wie dieser werden die Fakten völlig verdreht. Indem sie den religiösen Glauben diffamiert und ‚Größe, Ruhm und Wahrhaftigkeit‘ der KPCh verherrlicht, hofft die KPCh, die Menschen von Gott abzuhalten und sie dazu zu bringen, nur an die Partei zu glauben. Auf diese Art wollen sie den religiösen Glauben völlig auslöschen.“
Der Mann fügte hinzu, dass diese Art von Propaganda jedoch langfristig Auswirkungen auf nicht-religiöse Menschen haben könnte. Seine Ängste sind nicht unbegründet: Nach der Aufführung meinten manche der Dorfbewohner: „An dies oder an jenes zu glauben ist alles ein Schwindel. In unseren Herzen sind die Partei und die Volksregierung ‚Gott‘.
Laut chinesischen Medienberichten wurde Das Evangelium seit letztem Oktober in 27 Gemeinden des Kreises Yugan aufgeführt. Damit sollte vehement die Botschaft verbreitet werden: „Sei dir des Wohlwollens der Partei bewusst, sei der Partei dankbar, gehorche der Partei, folge der Partei.“
Seit Jahren nutzt die KPCh kulturelle Propaganda-Aufführungen dazu, ihre ideologische Botschaft unter das Volk zu bringen. Unter Xi Jinpings Herrschaft wurde sogar eines der Lieblingswerke Mao Zedongs, Das Weißhaarige Mädchen, wieder auf die Bühne gebracht. Ein Stück, das zum ersten Mal 1945 aufgeführt wurde und den revolutionären Geist des Volkes wecken sowie dessen Hass auf die Grundbesitzer schüren sollte.
Anti-religiöse Theaterstücke und Filme werden heute dazu eingesetzt, die Menschen zum Widerstand gegen den religiösen Glauben anzustacheln und das schnelle Wachstum mancher Religionsbewegungen einzuschränken. Ein Beispiel dafür ist der Kurzfilm Come Home Soon, Mom and Dad, dessen Ziel es ist, die Kirche des Allmächtigen Gottes zu diffamieren. Der Film wurde intensiv unter der allgemeinen Bevölkerung und den Schülern Jiangxis verbreitet. Überall im Land halten die lokalen Behörden auch Anti-xie jiao-Square Dance-Wettbewerbe ab und bringen kommunistische Propagandashows auf die Bühne. Als Konkurrenzveranstaltungen zu den Sonntagsgottesdiensten organisieren sie Spiele und andere Unterhaltungsaktivitäten vor den Kirchen, oder übernehmen die Kirchen einfach, um dort Opernaufführungen oder Entertainmentveranstaltungen abzuhalten. All das dient dazu, die Menschen von der Religion abzulenken und den einzig wahren „Gott“ zu propagieren – die Kommunistische Partei.