Mit Hilfe von Preisen und der verpflichtenden Teilnahme von Beamten konnte das Anti-xie jiao-Quiz, in dessen Rahmen die verbotenen Religionen verleumdet werden, über 11 Millionen Teilnehmer in nur zwei Wochen gewinnen.
Chen Jinsheng
Am 20. März begann der einmonatige, landesweite Quiz-Wettbewerb der KPCh unter dem Motto „boykottiert xie jiao und ehrt die Wissenschaft“. Das Quiz nennt sich Tounao Wangzhe (頭腦王者,wörtlich „König des Verstandes“ oder „König des Gehirns“) und basiert auf einer beliebten Spiele-App auf der Social Messaging-Plattform WeChat. Insgesamt waren bei dem Spiel 100 000 RMB (ungefähr 13 000 EUR) in „roten Geldkuverts“ zu gewinnen – sowie 10 000 Goldmünzen (die virtuelle Währung, die auf den Zahlungskonten der WeChat-Nutzer deponiert und mit denen Einkäufe getätigt werden können). So sollten die Menschen zur Teilnahme an dem Wettbewerb animiert werden.
Nach KPCh-Berechnungen nutzen in China mehr als 800 Millionen Menschen das Internet, mehr als 90 Prozent davon nutzen mobile Netzwerke. Nur einen halben Monat nach Beginn des Anti-xie jiao-Wissenswettbewerbs war die Zahl der Teilnehmer auf 11 Millionen gestiegen. Und obwohl der einmonatige Wettbewerb bereits geendet hat, gibt es das Spiel immer noch und die Zahl der Teilnehmer steigt täglich. Die KPCh hat das mobile Internet in eine der größten Plattformen zur Unterdrückung des religiösen Glaubens verwandelt.
Ein Spielteilnehmer erklärte, dass es bei dem Wettbewerb nicht um Geschwindigkeit geht, sondern darum, dass die Teilnehmer konkurrieren, wer das größte Anti-xie jiao-Wissen besitzt. Außerdem, so fügte er hinzu, würde der Initiator des Spiels (Chinapeace.gov.cn – die offizielle Nachrichten-Webseite der KPCh-Zentralkommission für Politische und Rechtliche Angelegenheiten) sein öffentliches WeChat-Konto dazu nutzen, zahlreiche Anti-xie jiao-Nachrichten zu posten. Wenn Mitglieder einen hohen Punktestand erreichen wollen, um auf ein höheres Spiele-Level zu gelangen, müssen sie die Webseite täglich besuchen, um alle möglichen Arten des sogenannten „Anti-xie jiao-Wissens“ zu erlangen.
Im Folgenden werden einige der Fragen aus dem Anti-xie jiao-Quiz aufgeführt:
F: Wie handeln Sie richtig, wenn Sie jemanden entdecken, der Informationsmaterial zu xie jiao verteilt?
1. Ich weigere mich, dieses Informationsmaterial anzunehmen und rufe die Polizei.
2. Ich lese das Informationsmaterial.
3. Ich nehme das Informationsmaterial an.
4. Ich ignoriere es und stelle auch keine Fragen.
F: Kann es Fälle geben, in denen ein Rechtsanwalt gegen die Einstufung einer Gruppe als xie jiao-Organisation seitens der Regierung Widerspruch einlegen kann?
1. Ein Widerspruch ist möglich.
2. Dazu gibt es keine Vorschriften.
3. Ein Widerspruch ist teilweise möglich.
4. Ein Widerspruch ist nicht möglich.
So wie auch bei der App „Lerne Xi, starke Nation“ hat die KPCh dieses Spiel in allen Regierungszweigen sowie in manchen Unternehmen und Institutionen veröffentlicht und als verpflichtend eingeführt. Aus einem internen Dokument, das von der Anti-xie jiao-Vereinigung der Provinz Liaoning im Nordosten Chinas herausgegeben wurde, geht hervor, dass die Behörden das Anti-xie jiao-Spiel in der ganzen Provinz als wichtige Aufgabe eingeführt haben. Außerdem wird bei der Leistungsbewertung lokaler Regierungsbeamter berücksichtigt, ob diese proaktive Maßnahmen ergriffen haben, um die Ausbreitung des Spiels voranzutreiben.
Liaoning ist kein Einzelfall. Am 02. April hat ein staatliches Unternehmen in Chinas östlicher Provinz Shandong ein Mitarbeitertreffen anberaumt, in dem von allen Mitarbeitern verlangt wurde, an dem Anti-xie jiao-Spiel teilzunehmen. Eigens damit beauftragte Angestellte überwachten die Teilnahme der Mitarbeiter und ihre Zahl musste den Vorgesetzten gemeldet werden.
Einige Mitarbeiter erzählten Bitter Winter, dass sie keinerlei Interesse an dem Anti-xie jiao-Thema hätten und nur an dem Spiel teilnähmen, um keine Schwierigkeiten mit ihren Vorgesetzten zu bekommen. „Die Regierung propagiert absichtlich die atheistische Vorstellung, dass der Mensch vom Affen abstammt“, erklärte einer der Mitarbeiter in Bezug auf das Spiele-Logo, welches ein Gesicht zeigt, dessen eine Hälfte einem Affen und dessen andere Hälfte einem Menschen gehört.
Religiöse Gruppen, wie Falun Gong, die Kirche des Allmächtigen Gottes oder die Schreier, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, oder von denen die KPCh annimmt, dass sie schnell wachsen und eine Gefahr für die Regierung darstellen, werden auf eine xie jiao-Liste gesetzt und strenger Verfolgung unterworfen. Um dieses Vorgehen zu rechtfertigen, setzen die Behörden die xie jiao fälschlicherweise mit den Religionsgruppen gleich, die im Westen böswillig als „Sekten“ bezeichnet werden. Die KPCh stellt das Vorgehen gegen xie jiao als wichtige Maßnahme zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit dar und setzt Propagandamethoden ein, um die Meinung der Bevölkerung zu beeinflussen. In diesem Jahr hat die KPCh zahlreiche Anti-xie jiao-Kampagnen gestartet, um die Bevölkerung landesweit zu mobilisieren. Zu dem endlosen Strom neuer Maßnahmen gehören künstlerische Inszenierungen und Square Dance-Wettbewerbe.
Dr. Raffaella Di Marzio, Direktorin des Zentrums für Studien zur Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit (LIREC) in Italien, erklärte, dass die KPCh ein Bild erschafft, das die Religion als Gefahr darstellt. Die KPCh bereitet Informationen auf, die im Fernsehen und in den Zeitungen verbreitet werden und die Geisteshaltung der normalen Bürger beeinflussen, die nichts über die Religion wissen. „Sie setzen ihnen diese Idee in den Kopf, dass die Religion dem Staat, den Menschen und der eigenen Gesundheit schaden und Krieg und Gewalt erzeugen kann“, erklärte Dr. Di Marzio in einem Interview. „Die kommunistische Partei Chinas stellt es so dar, als wolle sie ihre Bürger vor dieser Gefahr schützen. Es gibt ein Ziel, das sie erreichen möchte: Sie will zeigen, dass Religionen eine Gefahr für alle sind, wenn sie nicht vom Staat kontrolliert werden.“