Während die Überwachung der Online-Aktivitäten zunimmt, baut China eine professionelle Cyberarmee auf, um die Gedanken seiner Bürger zu kontrollieren und weltweit Propaganda zu verbreiten.
Vor kurzem erhielt Bitter Winter Dokumente, die Licht auf Chinas verstärkte Bemühungen werfen, die digitale Kommunikation zu kontrollieren. Heikle Informationen werden blockiert und Nutzer, die online Kritik üben, werden gesperrt oder gelöscht. Twitter-Nutzer in China wurden zum Verhör bestellt oder verhaftet.
Am Wichtigsten ist vielleicht aber, dass die Behörden der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ihr Netz von Internetkommentatoren ausgeweitet und professionalisiert haben, sodass dieses nun zunehmend rigoroser, basisorientierter und zielführender ist.
Diese von den Behörden angeheuerten Kommentatoren werden oft als „50 Cent-Partei“ bezeichnet. Sie geben sich für gewöhnlich als normale Internetnutzer aus und stellen KPCh-freundliche Posts online bzw. greifen regierungsfeindliche Kommentare oder Sichtweisen an oder kritisieren sie. Der Spitzname entstand 2004, als die Öffentlichkeitsabteilung des Parteikomitees der bezirksfreien Stadt Changsha Internetkommentatoren angeheuert und diesen angeblich ein Monatsgehalt von 600 RMB (ungefähr 87 USD) zuzüglich 5 jiao pro Post gezahlt hatte (5 jiao (oder mao, ein Zehntel eines chinesischen yuan) entspricht 50 fen, was zu dem Ausdruck „50 Cent-Partei“ geführt hat).
Den wichtigsten Punkt in diesem Dokument bildet die Regierungsbemühung, die angeheuerten Internetkommentatoren zu professionalisieren, um deren Effektivität zu maximieren. Bis vor kurzem bildeten diese „50 Cent-Partei“-Kommentatoren eher ein informelles Netzwerk, als eine effiziente Maschine. Die meisten von ihnen arbeiteten Teilzeit und unkoordiniert. Medienberichten zufolge arbeiten nur 15-20 Prozent der über 10 Millionen vom Staat bezahlten Internetkommentatoren Vollzeit.
Dieses Modell ist nun im Wandel begriffen. Heute müssen selbst die lokalen Nachbarschaftsbehörden hauptberufliche Internetkommentatoren anstellen. Dies wird durch ein weiteres Dokument deutlich, das Bitter Winter erhalten hat und bei dem es sich um einen von dem Büro eines Straßenviertels in der Stadt Yingkou (nordöstliche Provinz Liaoning) herausgegebenen Bericht handelt, der den Titel Bericht über die Umsetzung der Verantwortlichkeiten für Ideologiearbeit für die erste Hälfte des Jahres 2018 trägt. In dem Bericht steht, dass das Arbeitskomitee der Straßenviertelpartei und das Büro des Straßenviertels Internetkommentatoren in Vollzeit anstellen müssen, weil „die neuen Online-Medien sehr großen ideologischen Einfluss haben.“
Auch die Online-Propagandabemühungen Chinas im Ausland werden professioneller und gezielter. Bitter Winter erhielt eine Kopie des Dreijahresplans zum Angriff der xie jiao im Online-Kampf. In diesem Dokument, das von einem Kreis in der an der Meeresküste gelegenen Provinz Guangdong im Süden Chinas herausgegeben wurde, werden die Kreisbeamten dazu angewiesen, ihren Informationskrieg international zu führen. Die Behörden sollen:
· „Im Ausland anti-xie-jiao-Kommentare ins Internet stellen…“ „Je nach Notwendigkeit Kommentare und Angriffe auf externen Propaganda-Webseiten auf Provinzebene und auf ausländischen Versionen neuer Medienplattformen posten…“
· „Ein Internetkommentatorenteam aufbauen, dass für den Kampf gegen xie jiao im Internet geeignet ist. Dieses muss auf dem Gebiet der Internetsprache und der ‚unsichtbaren Propaganda‘ bewandert sein und kann eine einzigartige Waffe bei der Niederschlagung von xie jiao-Organisationen, wie Falun Gong oder der Kirche des Allmächtigen Gottes, sein.“
· ein Team zur Führung der Öffentlichen Meinung auf neuen Medien-Plattformen einrichten, sowie Internettechnik und neue Apps verwenden, um den Online-Kampf gegen xie jiao auszuweiten.
Xie jiao, oder heterodoxe Lehren, sind Religionsbewegungen, welche von der KPCh als gefährlich und nicht „wirklich“ religiös betrachtet werden. Aus diesem Grund sind sie in China verboten und werden verfolgt. In einer xie jiao aktiv zu sein, gilt als Straftat und kann mit schweren Gefängnisstrafen geahndet werden.
Die KPCh verwendet Internetkommentatoren, um die öffentliche Meinung im Ausland zu lenken und führt Angriffe und Verleumdungskampagnen gegen bestimmte Religionsgruppen durch. Der oben erwähnte Dreijahresplan zum Angriff zeigt, dass das Vorgehen bei der Verbreitung von Online-Propaganda immer ausgeklügelter und unverfrorener wird.
Es heißt, Xi Jinping habe 2013 erklärt, dass das Internet „bereits ein bedeutendes verstecktes Problem“ geworden sei. In Folge dieser Erklärung richtete er die Zentrale Führungsgruppe für Cybersicherheit und Informatisierung ein, die er persönlich leitet. Seitdem hat die KPCh ihre Bemühungen, das Internet zu lenken und zu kontrollieren, auf eine neue strategische Ebene gebracht und zusätzlich mehrere Millionen Angestellte für diese Aufgabe eingestellt. Diese Millionen an neuen Entwicklern und Kommentatoren kommen zu den bereits zehn oder mehr Millionen Mitgliedern der „50 Cent-Partei“ noch dazu.
Chang Ping, ein in Deutschland lebender chinesischer Journalist mit langjähriger Erfahrung, schreibt im Internet: „Wie effektiv die ‚50 Cent-Partei‘ auch immer sein mag – sie kann weder gerechtfertigt noch verteidigt werden, denn ihrer Arbeit fehlt jegliche rechtliche Grundlage. Feindstaaten setzen vielleicht Geheimdienste ein, aber eine riesige Masse an Staatsbürgern dazu zu bringen, sich ‚zu maskieren‘ und die Meinung zu manipulieren, indem sie vorgeben, zur anderen Seite zu gehören – das ist inakzeptabel.“
Bericht von Piao Junying