In der Provinz Jiangxi gehen die Behörden unter dem Vorwand, Pornografie zu bekämpfen gegen kritische Äußerungen vor.
Tang Zhe
“Pornografie ausmerzen“
2019 besteht die Regierungsarbeit vornehmlich darin, die politische Stabilität aufrechtzuerhalten. Bitter Winter hat ein Dokument erhalten, das im Februar von einer Stadt in der südöstlichen Provinz Jiangxi herausgegeben wurde (der Name der Stadt wird nicht genannt, um unsere Quelle zu schützen). In dem Dokument mit dem Titel Bekanntmachung zur Weiterleitung der wichtigsten Punkte bei der Arbeit [unserer] Stadt zur Ausmerzung von Pornografie und illegalen Veröffentlichungen wird eine Kampagne beschrieben, die der Kampagne zur “Säuberung von Bandenkriminalität und Ausrottung des Übels“ ähnelt, über die Bitter Winter bereits berichtet hat.
Die Aussage im Titel des Dokuments – “Ausmerzung von Pornografie und illegalen Veröffentlichungen“ (掃黃打非, saohuang dafei) – gehört zu den typischen Methoden, die Chinas Regierung anwendet, um den Kulturmarkt zu verwalten. Saohuang (was wörtlich so viel bedeutet wie “das Gelbe fortfegen“, da die Farbe Gelb in der chinesischen Sprache auch Porno bedeuten kann) bezieht sich darauf, Bücher und online-Informationen mit pornografischen Inhalten auszumerzen. Dafei (bedeutet wörtlich “das Illegale niederschlagen“) und bezieht sich auf den Kampf gegen illegale Veröffentlichungen.
In der Praxis bedeutet “schädliche Informationen“ fortfegen jedoch, gegen alles vorzugehen, wodurch die Parteiführung abgelehnt oder kritisiert wird.
In dem Dokument steht: “Das Ausmerzen von Pornografie und illegalen Veröffentlichungen ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Partei, um ihre ideologische Arbeit durchzuführen. Es ist eine politische Aufgabe, die stets gestärkt werden muss und niemals geschwächt werden darf.“ Außerdem wird darin gefordert, dass “Xi Jinping´s Gedanken zum Sozialismus chinesischer Art für ein neues Zeitalter als politische Entscheidungsgrundlage, ideologischer Rückhalt und Richtungsweiser für Maßnahmen zur “Ausmerzung von Pornografie und illegalen Veröffentlichungen“ dienen sollen. In dem Dokument wird nachdrücklich betont, dass die Kommunistische Partei eine absolute Führungsrolle bei diesen Maßnahmen ausübt.
Als “schädliche Informationen“ gelten laut Dokument “Veröffentlichungen und Informationen, welche die Parteiführung oder Chinas sozialistisches System schwächen, ins falsche Licht rücken oder ablehnen.“ Es wird verlangt, dass “kultureller Abfall gründlich fortgefegt wird.“
Eine seltsame Art, Jahrestagfeiern zu begehen
In einem Schlüsselsatz in dem Dokument wird deutlich, warum dieses Vorgehen zu diesem Zeitpunkt so wichtig ist. Darin wird nachdrücklich die Notwendigkeit betont, “die politische, ideologische und kulturelle Sicherheit aufrechtzuerhalten und ein gutes soziales und kulturelles Umfeld für die Feiern zum 70. Jahrestag der Gründung des neuen Chinas zu schaffen.“
2019 ist das Jahr, in dem sich die Gründung des “neuen Chinas“ (also des kommunistischen Chinas nach dem Sieg der Revolution 1949) zum 70. Mal jährt. Es ist auch das Jahr des 30. Jahrestages des Tiananmen-Massakers (4. Juni 1989), der 10. Jahrestag der Aufstände in Urumqi (5. Juli 2009) und der 20. Jahrestag der Verfolgung von Falun Gong. Aus diesem Grund verschärfen alle Ebenen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) die Kontrolle über das geschriebene und das gesprochene Wort.
In dem Dokument wird zu strengen Kontrollen sowohl online als auch offline aufgerufen und das Vorgehen spezifiziert: “Überwachen Sie die Auslieferung, Logistik und den Transport von Postsendungen ebenso streng wie Druck- und Kopiertätigkeiten, Online-Einkäufe und Verkaufsplattformen, Großmärkte für Veröffentlichungen, Flughäfen, Zug- und Busbahnhöfe, Docks, Autobahnraststätten, Touristenattraktionen, Kulturmärkte in der Nähe von Schulen, Bauernmärkte, Stadt-Land-Verbindungen und andere Schlüsselorte.“
Um all diese Lebensbereiche abzudecken, werden die Beamten dazu aufgefordert “Säuberungen, Ermittlungen und unangekündigte Inspektionen durchzuführen, gezielte Überwachungen vorzunehmen, gründlich nach versteckten Gefahren zu forschen und effektiv umfassende Präventions- und Kontrollmaßnahmen umzusetzen.“
Kritisches Denken wird mit Pornografie gleichgesetzt
Eine weitere Sorge der KPCh betrifft die öffentliche Meinung. In dem Dokument wird betont, dass es notwendig sei, “die Dynamik der öffentlichen Meinung unmittelbar festzustellen und schnell und sicher auf sporadische Vorfälle zu reagieren, die in Zusammenhang mit ‚dem Ausmerzen von Pornografie und illegalen Veröffentlichungen’“ stehen.
Insgesamt werden in dem Dokument Maßnahmen gegen jeden verlangt, der “politisch schädliche Veröffentlichungen“, welche die Regierung in unvorteilhaftes Licht rücken, plant, herstellt, verkauft oder verbreitet. Parteimitglieder und öffentliche Angestellte sind nicht vor Überprüfung gefeit – jeder Beamte, der beim Betreten oder Verlassen des Landes “politisch schädliche Veröffentlichungen“ bei sich trägt, soll schwer bestraft werden. Solche Fälle sollen auch als Abschreckung für andere Beamte öffentlich gemacht werden.
Den Universitäten wird besondere Aufmerksamkeit als Stätten für Überwachung und Kontrolle gewidmet. Die Behörden sollen im Rahmen der “Operation ‚Säuberung der Quelle’“ die Verbreitungskanäle universitärer Publikationen kontrollieren. Konferenzen, Forschungsseminare, Vorlesungen und andere universitäre Aktivitäten sollen überwacht werden, um “zu vermeiden, dass Dozenten und Studenten durch schädliche Veröffentlichungen oder Informationen korrumpiert oder politisch infiltriert werden.“ Die Behörden sollen “Zustellung, Versendung, Transport, Druck und Reproduktion“ stärker kontrollieren, “um die Kanäle zur Verbreitung und Verteilung zu stopfen.“
Auch religiöse Publikationen finden eine besondere Erwähnung. Es wird ein stärkeres Vorgehen gegen, nicht von der Regierung genehmigte, Publikationen verlangt. “Der Verkauf und die Verbreitung von nicht öffentlich herausgegebenen religiösen Publikationen an öffentlichen Plätzen oder online ist streng verboten.“
Gegen die sogenannten xie jiao-Gruppen soll streng vorgegangen werden. Im Dokument werden die Beamten angewiesen, “unverzüglich bei Entdeckung“ gegen Veröffentlichungen, gedruckte Texte und Informationen über Falun Gong, die Kirche des Allmächtigen Gottes und andere verbotene Religionsgruppen vorzugehen.
Außerdem wird im Dokument dazu aufgerufen, gegen unabhängige, selbst veröffentlichte Berichte von Bürgern vorzugehen.