Die chinesischen Behörden bieten das Banale als Alternative zum Erhabenen an, denn Volkstanz und Firlefanz ist alles, womit die Partei den Hunger der Bürger befriedigen kann.
Die Behörden der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) scheinen zu glauben, dass sich die Menschen aufgrund einer Leere in ihrem Leben der Religion zuwenden. Als Alternative zur Religion fördert die Partei nun Tänze, Tauziehen und andere Vergnügungen, um diese Leere, die viele Menschen empfinden, zu füllen. Das nennt sich dann „Fröhliche Sonntage“.
Am Sonntag, den 11. November 2018, um 10 Uhr morgens, hielten Christen im Dorf Sizhuangping in der Provinz Henan Gottesdienste ab. Doch vor ihrer Kirche war es lauter als sonst, denn das örtliche Dorfkomitee hatte im Rahmen einer Fröhlicher Sonntag-Aktion einige Dorfbewohner zusammengetrommelt, die Gongs schlugen und Schlagzeug spielten.
„Ihr könnt ab jetzt jeden Sonntag hierher kommen und euch amüsieren“, sagte der Parteisekretär des Dorfes, als er die Menschen begrüßte. „Das ist ein ‘Revierkrieg‘ gegen religiöse Menschen!“ Und während er seinen Krieg gegen die Seelen (oder zumindest gegen die Ablenkung) der Menschen verkündete, gab er an jeden Dorfbewohner, der Trommeln spielte, Zigaretten aus und verteilte unter dem Publikum, als Belohnung für seine Anwesenheit bei der Veranstaltung, Süßigkeiten mit Fruchtgeschmack.
Am Sonntag, den 13. Januar 2019, wurde im Ort Chengguan, einem Teil der Stadt Sanmenxia ein Banner mit dem Titel „Fröhlicher Sonntag“ angebracht und für die Dorfbewohner Tauziehen und andere Aktivitäten organisiert.
Video: Im November 2018 fand in der Stadt Yangshao in der Provinz Henan eine „Fröhlicher Sonntag“-Aktion statt.
Ein verwirrter Dorfbewohner fragte: „Was sollen diese Fröhlichen Sonntage?“ Der Dorfvorsteher erklärte ihm darauf, dass damit sichergestellt werden soll, dass jeder sonntags komme und sich die Attraktionen ansehe, anstatt seinen Glauben zu pflegen und an religiösen Treffen teilzunehmen.
Bitter Winter erhielt eine Kopie eines, im September 2018 ausgestellten, Dokumentes mit dem Titel Bekanntmachung zu den Stellungnahmen einer Umsetzung der Durchführung von Aktivitäten mit dem Thema „Fröhlicher Sonntag“ im Bezirk Suiyang. Das Dokument wurde von 12 Regierungsabteilungen gemeinsam im Bezirk Suiyang der Stadt Shangqiu in Henan herausgegeben, darunter der Organisationsabteilung und der Propagandaabteilung des Parteikomitees. Das Dokument verlangt die „Koordinierung verschiedener Ressourcen und die Mobilisierung aller Kräfte“ zur Durchführung von Fröhlicher Sonntag-Aktivitäten und fordert, dass „Der Schwerpunkt auf ländlichen Gebieten (oder Gemeinden) liegen soll, in denen die Aufgaben zur Verwaltung von Religion schwerfallen.“ Jeden Sonntagmorgen und an wichtigen religiösen Festtagen sollten ab sofort Aktivitäten stattfinden, um „die ideologische Front in ländlichen Gebieten zu besetzen.“ Mit anderen Worten: die Partei hofft auf Unterhaltungsaktivitäten als geeignete Konkurrenz gegenüber der Religion im Wettstreit um die Massen.
Bekanntmachung zu den Stellungnahmen einer Umsetzung der Durchführung von Aktivitäten mit dem Thema „Fröhlicher Sonntag“ im Bezirk Suiyang.
Die Aktivitäten der Fröhlichen Sonntage sind als massive Veranstaltungen angelegt. Jede der zwölf beteiligten Regierungsabteilungen ist für ihre eigenen Projekte verantwortlich, zielt dabei auf verschiedene Gesellschaftsschichten ab und erschafft verschiedene Aktivitäten, um die Menschen von der Ausübung der Religion abzuhalten.
Das Kultur- und Tourismusamt des Bezirks zielt darauf ab, das „künstlerische Rückgrat“ der Bürger durch verschiedene kulturelle Vorführungen zu stärken, während das Amt für Bildung und Sport patriotische Bildungsaktivitäten für Jugendliche organisiert, wie z.B. das Erlernen der „Zentralen Sozialistischen Werte“. Der Frauenverband seinerseits unterstützt Veranstaltungen für Frauen im ländlichen Raum, um „sie dazu zu bringen, der Partei zu gehorchen und der Partei zu folgen“, und das Komitee für Politik und Recht organisiert Propaganda-Aktivitäten gegen xie jiao. Das Komitee für Ethnische und Religiöse Angelegenheiten ist wiederum betraut mit Kampagnen zum Hochhalten der Nationalflagge und der Einführung der „Zentralen Sozialistischen Werte“ an religiösen Versammlungsorten, um „das nationale Bewusstsein der Gläubigen zu stärken und ihnen klar zu machen, dass, selbst wenn sie religiös sind, sie weder die Partei noch das Land verraten dürfen.“
Video: Im November 2018 fand im Innenhof des Dorfkomitees von Yangshao eine „Fröhlicher Sonntag“-Aktion statt.
Idealisierte Modelle von guten Bürgern werden ebenfalls erschaffen und gefördert. Das Lenkungskomitee für Spirituelle Kultur des Bezirksamtes überprüft Familien und bewertet sie. Wobei einige ganz bewusst mit Ehrungen wie „zivilisierte Familien/ Haushalte“, „gute Schwiegermütter“ und „gute Schwiegertöchter“ bedacht werden. Laut der Berichte, die Bitter Winter erhalten hat, werden alle Personen, die die Politik der KPCh unterstützen und ausgezeichnete Beispiele für traditionelle chinesische Werte wie Loyalität, Harmonie und Integrität abgeben, von der Regierung als „zivilisierte Haushalte“ ausgewählt. Dorfbewohner mit religiöser Überzeugung hingegen werden niemals ausgewählt und stellen im Vergleich zum, von der Partei geförderten, Ideal eine klare Randgruppe dar.
Video: Am 20. Januar 2019 brachte die Regierung des Dorfes Yingdong in der Provinz Henan Dorfbewohner zusammen, die bei einer „Fröhlicher Sonntag“-Aktion Gongs schlugen und Schlagzeug spielten.
Darüber hinaus gibt es auch „ländliche Lesesäle“, „Kleinstvorträge der Partei“, „Opernbühnen in freier Natur“ sowie „Vortragsräume für Moral und Kultur“, die alle die Politik der Partei fördern sollen. Die ständige Vermittlung der Werte der Partei aus jedem nur erdenklichen Eck, lässt den Menschen keine Zeit mehr, an Gott zu glauben.
Laut einigen Medienberichten fingen die Aktivitäten zum Thema „Fröhlicher Sonntag“ im letzten Jahr an. Wie Bitter Winter bereits berichtete, haben ländliche Behörden in ganz Henan umfangreiche anti-religiöse Propagandakampagnen durchgeführt, indem sie traditionelle chinesische Opernensembles zu Auftritten vor religiösen Begegnungsstätten eingeladen oder „Abendschulen für Bauern organisiert haben.“ Auch in anderen Provinzen organisieren Lokalregierungen in der Nähe von Gotteshäusern „alternative” Sonntagsveranstaltungen zur Parteipropaganda oder kulturelle Aktivitäten, um Menschen von der Teilnahme an religiösen Aktivitäten abzuhalten.
Bereits im November 2014 veröffentlichte die Website der Xinjiang Daily einen Artikel mit dem Titel „Angesichts der zunehmenden Aktivitäten in ländlichen Gebieten ist die religiöse Atmosphäre verblüht.“ Laut diesem Artikel investierten die Behörden des Bezirks Xinhe mehr als vier Millionen RMB (ca. 520.000 Euro) in die Errichtung und den Ausbau von 68 kulturellen Veranstaltungsorten auf Dorfebene, 110 ländlichen Kulturanlagen und zwei neu errichteten kulturelle Auditorien. Außerdem wurden 176 Dorflautsprecher-Sets, mit denen man sonst die Propaganda der KPCh verbreitet hatte, modernisiert oder nachgerüstet. In 117 Dörfern im ganzen Bezirk wurden die „Meshrep Volkstänze“ (ein traditionelles Treffen der Uiguren für Poesie und Tanz) populär gemacht. Auf dem Land wurden verschiedene Wettbewerbe und künstlerische Performances eingerichtet und häufig durchgeführt. Die Behörden ermutigen die Bürger, sich regelmäßig an der Förderung des Auftrags „mit Hilfe der modernen Kultur die religiöse Atmosphäre zu schwächen“ zu beteiligen.
Bericht von Gu Xi