Eine Studie zur Religionsfreiheit unter der KPCh-Regierung zeigt, dass es eine solche im kommunistischen China nicht gibt, wobei die Regierung bei ihren Bestrebungen zur Ausrottung der Religion unterschiedliche Phasen durchlaufen und unterschiedliche Strategien angewandt hat.
Massimo Introvigne
Stichworte: Das Kaiserreich China–Die Republik China–Das frühe maoistische China–Kulturrevolution–Die Deng Xiaoping-Ära–Die Xi-Jinping-Ära
Es werden fast monatlich Berichte über die Religionsfreiheit in China veröffentlicht. Und das mit den besten Absichten: Denjenigen, die diese Berichte erstellen, liegt die Religionsfreiheit wirklich am Herzen. Dennoch sind einige dieser Berichte problematisch, oder zumindest verbesserungswürdig. Sie enthalten wertvolle Informationen und Hinweise auf Einzelfälle, doch manchmal fehlen darin zwei Aspekte des Gesamtbilds. Der erste ist der ideologische Aspekt: Was ist das Hauptziel der Religionspolitik der KPCh bzw. heute jener Politik von Xi Jinping? Der zweite Aspekt ist der gesetzliche Rahmen. Die Hauskirchen werden zum Beispiel allgemein oft mit den als xie jiao eingestuften Religionsbewegungen in eine Schublade gesteckt, obwohl die rechtliche Situation der Hauskirchen, die nicht als xie jiao eingestuft sind, eine ganz andere ist.
Das Kaiserreich China
Wenn wir über die Lage der Religionsfreiheit in China sprechen, ist es wichtig zu wissen, dass es dort niemals Religionsfreiheit gegeben hat. Im chinesischen Kaiserreich entschied der Kaiser, welche Religionen gefördert, toleriert oder verfolgt wurden. Vom 5. bis zum 10. Jahrhundert u.Z. gab es insgesamt mindestens vier Versuche, den Buddhismus in China auszurotten. In der späten Ming-Ära wurde die rechtliche Einstufung xie jiao eingeführt, womit „heterodoxe Lehren“ bezeichnet wurden, die als solche in kaiserlichen Erlassen aufgeführt und stark verfolgt wurden (was oft die Ermordung ihrer Anführer und eines Großteils ihrer Anhänger bedeutete). Der Kaiser entschied auf der Grundlage seiner theologischen Neigungen und politischer Erwägungen, welche Gruppen als xie jiao eingestuft werden sollten. 1725 wurde das gesamte Christentum als xie jiao erklärt und stark verfolgt, wobei sich die Situation im 19. Jahrhundert aufgrund militärischen Drucks aus dem Westen verbesserte. Die Kaiser standen neuen Religionsbewegungen allgemein skeptisch gegenüber (von denen manche tatsächlich versuchten aufgrund von Utopien des Tausendjährigen Reichs, die Regierung zu stürzen) und stuften sie in der Regel als xie jiao ein. Im Zweifelsfall betrachteten die Kaiser diese Bewegungen als Varianten des „Weißen Lotus“, auch wenn Wissenschaftler der Neuzeit gezeigt haben, dass diese Einstufung eher willkürlich war und in keinerlei Verbindung zur tatsächlichen Religionsbewegung namens Weißer Lotus stand, die es im Mittelalter gegeben hatte, und die später mit anderen verwechselt wurde.
Die Republik China
Auch in der Republik China herrschte keine Religionsfreiheit. Theoretisch erklärte die Republik zwar, sie würde eine Politik der Religionsfreiheit im westlichen Stil führen, in der Praxis wurden die republikanischen Bestimmungen jedoch stark von Wissenschaftlern beeinflusst, die entweder atheistische Bewunderer der europäischen Aufklärung waren, oder aber liberale Christen, welche die traditionelle chinesische Religion als Aberglauben betrachteten. Diese überzeugten die Gestalter der Republik davon, dass für eine Modernisierung eine von der Französischen Revolution inspirierte Politik der Religionskontrolle und -einschränkung nötig sei. Eine Parole lautete: „Macht Tempel zu Schulen“. Und tatsächlich wurden Tausende buddhistischer, daoistischer und konfuzianischer Tempel zerstört oder in säkulare Schulen umgewandelt. Der Volksglaube wurde als Aberglaube unterdrückt. Die xie jiao-Liste blieb in Kraft und die Feindseligkeit gegenüber neuen Religionsbewegungen blieb bestehen – allerdings mit einer neuen Begründung: Neue Religionen wurden weiterhin verfolgt, nun wurden sie jedoch eher als Bedrohung für Modernisierung und Fortschritt angesehen, denn als Bedrohung für die offiziell vom Kaiser sanktionierte Religion. Manche Formen des Christentums wurden toleriert und manche sogar gefördert, wenn sie als fortschrittlich, harmlos und modernisierungsfreundlich betrachtet wurden.
Die meisten dieser Bestimmungen blieben auch in Taiwan zur Zeit des Ausnahmezustands, d.h. bis 1987, in Kraft. Danach verbesserte sich die Situation der Religionsfreiheit auf der Insel und neue Religionen konnten sich frei entwickeln, sodass Taiwan zu einem der Länder weltweit mit der höchsten Anzahl neuer Religionsbewegungen wurde.
Das frühe maoistische China
Der Vorsitzende Mao (1893-1976) kam 1949 an die Macht und etablierte in China ein kommunistisches Regime. Ein Teil seiner die Religion betreffenden Schriften sind bis heute geheim, doch die bekannten und veröffentlichten Dokumente reichen aus, um zwei unterschiedliche Phasen in seiner Haltung gegenüber Gläubigen auszumachen. Trotz gelegentlich anderslautender Propaganda gibt es wenig Zweifel daran, dass Mao vollkommen zum Atheismus und der kompletten Ausrottung der Religion neigte. Zunächst jedoch, als die KPCh gerade erst an die Macht gekommen war, glaubte Mao, dass eine umgehend schwere und ausnahmslose Verfolgung aller religiös Gläubigen weder zweckdienlich, noch notwendig wäre. Nicht zweckdienlich, weil es katastrophale Auswirkungen auf das Image und die internationalen Beziehungen der neuen kommunistischen Regierung gehabt hätte, und nicht notwendig, weil Mao – als dogmatischer Anhänger der klassischen marxistisch-leninistischen Lehre – fest davon überzeugt war, dass die Religion langsam von selbst verschwinden würde, wenn sich in China eine kommunistische Gesellschaft und Lebensart etabliert hätte und ihr damit die überlebensnotwendigen Wurzeln abgeschnitten würden. In der Sowjetunion war dies nicht der Fall gewesen. Doch Mao hielt den Sowjetkommunismus für unvollkommen und glaubte, dass der erste wahre und vollkommene Marxismus-Leninismus in China verwirklicht werden würde.
Das bedeutet nicht, dass Mao die Religion einfach in Ruhe gelassen hätte. Er war der Überzeugung, dass das allmähliche Verschwinden von der KPCh begleitet, gelenkt und beschleunigt werden sollte. Zu diesem Zweck ergriff er vier wichtige Maßnahmen: Erstens wies er alle ausländischen Missionare aus. Zweitens rekrutierte er KPCh-freundliche Gläubige als Weggefährten, um fünf streng durch die KPCh-kontrollierte Vereinigungen zu gründen, in die seiner Meinung nach alle gläubigen Gemeinden eingebunden werden sollten: Die protestantische Drei Selbst-Kirche (1954), die Buddhistische Vereinigung Chinas (1947), die Islamische Vereinigung Chinas (1957), die Daoistische Vereinigung Chinas (1957) und das vom Vatikan getrennte Katholisch-Patriotische Laienkomitee Chinas (1957), das später zum Katholisch-Patriotischen Komitee Chinas oder kurz zur Katholisch-Patriotischen Kirche umgewandelt wurde.
Drittens verschärfte er die Kontrolle der Muslime in Xinjiang, nachdem er 1950 im buddhistischen Tibet einmarschiert war. Wissenschaftler der Neuzeit haben gezeigt, dass Mao zunächst die tibetischen Buddhisten in Regionen Chinas außerhalb von Tibet stark verfolgt hat, und dann – als die Tibeter in Tibet dagegen protestierten – deren Proteste als Vorwand genutzt hat, dort ein Verfolgungsregime zu errichten.
Viertens führte er die Politik des Kaiserreichs und der Republik gegen neue, als xie jiao eingestufte Religionsbewegungen fort, wobei er es aus persönlichen ideologischen Gründen (und auch weil er sie nicht als Religionen betrachtete) vorzog, diese eher als „reaktionäre Geheimbünde“ (反動會道門), denn als xie jiao zu bezeichnen. Ein Paradebeispiel dafür war Maos Verfolgung der großen neuen Religionsbewegung Yiguandao. Polizeiberichten zufolge wurden in den Jahren 1953 bis 1954 820 000 Leiter und Organisatoren und 13 Millionen Anhänger dieser Bewegung festgenommen, von denen Tausende in KPCh-Gefängnissen ermordet wurden. Da Yiguandao zurzeit vorsichtig versucht, wieder Fuß in China zu fassen, ist die Bewegung nicht daran interessiert, Initiativen zu unterstützen, die an die massive Verfolgung erinnern, der sie in den 1950ern ausgesetzt war. Doch wegen des ungeheuren Ausmaßes der Verfolgung ist es extrem wichtig, davon zu wissen, wenn man die darauffolgende Verfolgung der xie jiao in China verstehen möchte.
Kulturrevolution
Maos Maßnahmen waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Trotz der Einführung und Etablierung eines kommunistischen Regimes machte die Religion keinerlei Anstalten zu verschwinden. Im Gegenteil, sie blühte auf. Besonders nahm die Anzahl der christlichen Kirchen zu, die sich hartnäckig weigerten, der staatlich kontrollierten Drei Selbst-Kirche beizutreten.
Historiker haben festgestellt, dass – nachdem diese „weichen“ Methoden versagt hatten – die gewaltsame Ausrottung der Religion eines der Hauptziele der Kulturrevolution gewesen war, und dass Mao nicht so sehr von anderen manipuliert worden war, sondern viel mehr der Hauptantreiber der Kulturrevolution und deren Gräueltaten gewesen ist.
Während der Kulturrevolution, zwischen 1966 und 1976, wurden sämtliche religiöse Gemeinden und Institutionen aufgelöst, darunter auch die fünf von der KPCh eingerichteten, kontrollierten und genehmigten Religionen. Zahllose Tempel, Kirchen und Moscheen wurden zerstört und ein wichtiger Teil von Chinas spirituellem Kunst- und Kulturerbe ging für immer verloren. Schon der Besitz einer Bibel oder eine Buddhastatue reichte für eine Festnahme, oder in zahlreichen Fällen, für eine Ermordung aus. Mindestens eine halbe Million Gläubige, unter Umständen auch sehr viel mehr, wurde entweder hingerichtet oder starb in Arbeitslagern. Zu Beginn der 1970er verkündeten die Roten Garden, dass die Religion aus China „wie Staub hinweggefegt worden sei“.
Die Deng Xiaoping-Ära
Der Vorsitzende Mao starb 1976 und 1978 kam Deng Xiaoping (1904-1997) an die Macht. Deng setzte der Kulturrevolution rasch ein Ende, weil er erkannte, dass diese nicht nur die chinesische Kultur und ihre Monumente zerstörte, sondern auch die chinesische Wirtschaft und das Regime selbst. Dengs Sichtweise, dass die Kulturrevolution ein katastrophaler Fehler gewesen war, ist bis heute die offizielle Lehre. Eine Sache, die die Kulturrevolution jedoch nicht zerstört hatte, war die Religion. Als sich der Staub gelegt hatte, wurde klar, dass auch wenn Tausende Gläubige getötet worden waren, die Religion doch im Untergrund überlebt hatte.
Deng stand dem Kommunismus nicht kritisch gegenüber, doch er kam zu dem Schluss, dass der Niedergang der Religion Jahrhunderte dauern würde und nicht Jahre oder Jahrzehnte. 1982 verabschiedete er das berühmte „Dokument Nr. 19“, in dem er den fünf genehmigten Religionen wieder den Status zusprach, den sie vor der Kulturrevolution gehabt hatten. Deng tolerierte sogar einen „Graumarkt“ von ungenehmigten Religionen, wobei er jedoch auch Einschränkungen machte: Die Schreier wurden zum Beispiel 1983, nur ein Jahr nach Verabschiedung des Dokuments Nr. 19, als xie jiao erklärt und verboten. Dahingegen unterstütze er traditionelle Praktiken, wie Qigong, die er eher als „kulturell“, denn als religiös ansah. Dengs System begrenzter Toleranz sollte nicht mit Religionsfreiheit verwechselt werden. Die katholische Untergrundkirche und mehrere Hauskirchen wurden weiterhin verfolgt und die Propaganda für „wissenschaftlichen Atheismus“ fortgeführt. Dennoch war die Deng-Ära eine vergleichsweise weniger strenge Zeit für die Religion im kommunistischen China. Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Deng-Ära von seinen Nachfolgern fortgesetzt wurde, bis 2012 Xi Jinping an die Macht kam.
Doch die Lage begann sich schon vor Xi allmählich zu verschlechtern. Es gab eine fast unmerkliche Veränderung hinsichtlich der in Dokument Nr. 19 formulierten „sozialistischen Erziehung der Religion“ hin zu dem in den Dokumenten aus den 1990ern vorherrschenden Wortlaut der „aktiven Führung der Religion zur Anpassung an die sozialistische Gesellschaft“, der sich in den neuen, 2004 erlassenen Bestimmungen, widerspiegelte. Drei Ereignisse markieren, wie sich die Lage der Religion in China in der Zeit zwischen Dengs Rückzug 1989 und Xis Machtantritt als KPCh-Sektretär 2012 verschlechtert hat. Das erste war das erneute Vorgehen gegen xie jiao seit 1995. Ursache dafür war vornehmlich der unerwartete Erfolg neuer christlicher Religionsbewegungen, von denen die 1991 gegründete Kirche des Allmächtigen Gottes die größte war. Seit 1995 ist die xie jiao-Liste das Hauptwerkzeug massiver Verfolgung, die an die Unterdrückung von Yiguandao in den 1950ern erinnert.
Das zweite Ereignis war 1999 der Zusammenstoß von KPCh und Falun Gong. Bis dahin war deren Verhältnis mehrere Jahre lang im Rahmen der Toleranz und Förderung von Qigong gut gewesen. Dann wurde Falun Gong als xie jiao eingestuft und sowohl in Hinblick auf das Ausmaß, als auch auf die Grausamkeit schwerster Verfolgung ausgesetzt. Das dritte Ereignis war der Terroranschlag vom 11. September 2001, welcher der KPCh einen Vorwand lieferte, gegen die uigurischen Muslime und andere ethno-religiöse muslimische Minderheiten vorzugehen, indem sie fälschlicherweise behauptete, dass eine bedeutende Anzahl von ihnen den Terrorismus unterstütze.
„Terrorismus“ und „Separatismus“ wurden als Synonyme verwendet, was ein erneutes Vorgehen gegen die tibetischen Buddhisten ermöglichte. Paradoxerweise hat auch ein weiteres Ereignis dazu beigetragen, die Lage der uigurischen Muslime stark zu verschlechtern, und zwar der Niedergang der Sowjetunion nach 1989. Solange die Sowjetunion existiert hatte, hegte die KPCh die Befürchtungen, dass jegliche Unruhen in Xinjiang den Sowjets einen Vorwand zur Behauptung liefern würden, dass Xinjiang eigentlich „Uiguristan“ sei, und es zusammen mit den benachbarten, von Turkmuslimen bevölkerten Republiken, wie Kasachstan oder Kirgisistan, zur Sowjetunion gehöre.
Die Xi-Jinping-Ära
2012 wurde Xi Jinping KPCh-Sekretär und 2013 Präsident Chinas. Seine Ideologie wird zuweilen als „Neo-Maoismus“ beschrieben, was jedoch mit Bedacht verwendet werden sollte, da Xi niemals geleugnet hat, dass die Kulturrevolution eine Katastrophe für das Land war, und auch niemals die pro-kapitalistischen Wirtschaftsreformen von Maos Nachfolgern, also seinen Vorgängern, in Frage stellte. Allerdings weist Xi einige Ähnlichkeiten mit Mao auf, was die erneute Stärkung der Position des KPCh-Sekretärs, die Förderung des Personenkults (seiner Person und gelegentlich auch jener Maos) und das Vorgehen gegen die Religion anbelangt.
Eine sorgfältige Untersuchung von Xis Äußerungen und Bestimmungen zur Religion zeigt deutlich, dass seiner Meinung nach der Entwicklung der Religion seit Deng zu viel Raum eingeräumt wurde. Dies hatte zu einem beispiellosen Wachstum der Hauskirchen, und schlimmer noch, von xie jiao, wie der Kirche des Allmächtigen Gottes, geführt. Und obwohl seine Vorgänger bereits scharf gegen xie jiao vorgegangen waren, und die Falun Gong (nicht jedoch die Kirche des Allmächtigen Gottes) in China stark dezimiert hatten, ergriff Xi neue Maßnahmen, um „die xie jiao wie einen Tumor auszurotten“, wie eine der Kampfparolen der KPCh es ausdrückt, was sehr an die Sprache erinnert, die 1950 bei der Kampagne gegen Yiguandao verwendet wurde. Doch die Zeiten haben sich seit 1950 geändert: Unter Xi lancierte die KPCh auch eine massive Fake News-Kampagne, deren Ziel es war, die Verfolgungen vor der Welt zu rechtfertigen. Dabei griff sie auf die Hilfe der Vereinigten Front zurück, um Wissenschaftler, Anti-Sekten-Aktivisten (manche davon Christen) und Journalisten in Asien und dem Westen als Weggefährten zu gewinnen. Zwei augenfällige Beispiele für Xis massive internationale Fake News-Kampagnen sind zum einen die, in der es darum ging, die Organernte von Gewissensgefangenen, vor allem von Falun Gong-Anhängern, für Transplantationen in China zu verschleiern und diejenige, in der die fälschliche Anschuldigung verbreitet wurde, dass die Kirche des Allmächtigen Gottes für den McDonald’s-Mord von 2014 verantwortlich sei (der in Wirklichkeit von einer anderen Religionsbewegung verübt worden war).
Xi hatte die Geduld verloren, Dengs Strategie weiter zu verfolgen, die darin bestanden hatte, die Religion bei ihrem langsamen Niedergang zu begleiten – einem Prozess, der Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dauern würde. Er beschloss, entschieden gegen alle drei Segmente der chinesischen Religion vorzugehen. Die fünf offiziellen, von der KPCh kontrollierten und genehmigten Religionen sollten verstehen, dass sie nicht dazu da waren, die Religion zu fördern, sondern dazu, ihren Niedergang zu organisieren. Insbesondere wies Xi an, strikt auf die Einhaltung der Bestimmungen zu bestehen, welche verboten, Minderjährigen den Zutritt zu Kirchen und Tempeln zu erlauben, oder ihnen irgendeine Form der religiösen Bildung zukommen zu lassen. So hoffte er, die Weitergabe der Religion an die nächsten Generationen zu unterbinden. Xi führte die Festnahmen, Inhaftierungen und Ermordungen von Ugiuren und anderen Angehörigen muslimischer Minderheiten in Xinjiang, buddhistischen Dissidenten in Tibet und Angehörigen von xie jiao nicht nur fort, sondern erreichte dabei auch noch Rekordzahlen. Die noch verbliebenen Falun Gong-Anhänger in China wurden erneut gnadenlos gejagt, doch vor allem richtete sich Xis Zorn gegen die Kirche des Allmächtigen Gottes, da diese trotz seiner spezifischen Anti-xie jiao-Unterdrückungspolitik immer weiter wuchs und 2014 eine spektakuläre Mitgliederzahl von vier Millionen erreicht hatte.
Xi nahm auch extreme Mühen auf sich und investierte Geld in die Propaganda, mit der er die Unterdrückung von „Separatisten“ und xie jiao im Ausland rechtfertigte. Dabei trieb er es soweit, dass diese Kampagnen gelegentlich nach hinten losgingen, wenn zum Beispiel Wissenschaftler öffentlich machten, dass die KPCh versucht hatte, sie zu kaufen und zu manipulieren oder andere Länder darauf hinwiesen, wie lächerlich Xis Versuch war, die gefürchteten Transformation durch Bildung-Lager als „Schulen“ zu verkaufen.
2018 wurde Xis Religionspolitik durch das Inkrafttreten der Neuen Verordnung für Religionsangelegenheiten institutionalisiert, die am 26. August 2017 unterzeichnet worden war. Xis Hauptziel wurde damit klar: Zwischen den fünf genehmigten Religionen und den verbotenen xie jiao liegt der sogenannte Graumarkt, dem die meisten chinesischen Gläubigen angehören. Sie besuchen protestantische Hauskirchen, die katholische Untergrundkirche und eine Fülle muslimischer, buddhistischer und daoistischer Organisationen, Moscheen und Tempel, die nicht den offiziellen Vereinigungen angehören.
Die Kernbotschaft der neuen Verordnung, für deren vollständige Umsetzung noch weitere Bestimmungen eingeführt werden müssen, besteht darin, dass die relative, eingeschränkte Toleranz gegenüber dem Graumarkt, die seit Dengs Dokument Nr. 19 herrschte, nun ein Ende hat. Die Hauskirchen und unabhängigen Moscheen und Tempel werden vor die Wahl gestellt, entweder den offiziellen, genehmigten fünf Religionen beizutreten, oder in die xie jiao-Hölle eingestuft und verfolgt zu werden. In der zweiten Jahreshälfte von 2018 sind Rechtswissenschaftler auf ein beunruhigendes Phänomen gestoßen: Artikel 300 des chinesischen Strafgesetzbuchs, nachdem eine Aktivität in einer xie jiao als Straftat gilt, wird von Richtern auf Gläubige angewandt, deren Gemeinden nicht als xie jiao eingestuft sind, aber auch nicht zu den fünf genehmigten Religionen gehören.
Zunehmend werden Andachtsstätten von Graumarkt-Religionen – Kirchen, Moscheen, buddhistische und daoistische Tempel, sowie Kreuze und Statuen von Buddha oder Laotse – zerstört. Gelegentlich kommt es sogar vor, dass unter dem Vorwand von Gebietsbestimmungen oder der Tatsache, dass entgegen dem öffentlichen Verbot Minderjährigen Zutritt gewährt wurde, Andachtsstätten der fünf genehmigten Religionen zerstört werden.
Während andere Segmente des Graumarkts einfach solange schikaniert werden, bis sie sich den fünf genehmigten Religionen anschließen, schien sich Xi dessen bewusst zu sein, dass diese Strategie nicht in Bezug auf die katholische Untergrundkirche funktionieren würde, solange diese den internationalen Rückhalt der Römisch-Katholischen Kirche – der größten Religionsorganisation der Welt – besitzt. Aus diesem Grund hat die KPCh für die Katholiken eine andere Strategie gewählt und am 22. September 2018 ein Abkommen zwischen dem Vatikan und China unterzeichnet, dessen Inhalt geheim bleiben soll. Theoretisch hat Xi mit dem Abkommen das Katholikenproblem gelöst, da die katholische Untergrundkirche gemäß dem Abkommen allmählich mit der von der KPCh kontrollierten Katholisch-Patriotischen Kirche verschmelzen soll – unter vom Papst ernannten, aber der KPCh genehmen Bischöfen. Allerdings gibt es dagegen sowohl in der Katholisch-Patriotischen Kirche, als auch in manchen Teilen der KPCh selbst, Widerstand und ebenso Kritik seitens bestimmter Katholiken. Wie erfolgreich das Abkommen umgesetzt werden kann, ist weiterhin sehr unklar.
Xi Jinping steht wachsenden internationalen Imageschäden gegenüber. Gelegentlich werden ihm Fake News über xie jiao, wie Falun Gong oder die Kirche des Allmächtigen Gottes, noch abgenommen, aber es wurden bereits Wissenschaftler entlarvt, die auf der Gehaltsliste der KPCh standen und immer mehr westliche Wissenschaftler stellen seine Propaganda mit ihrer abweichenden Sicht der Dinge in Frage. Falun Gong führt die internationalen Öffentlichkeitskampagnen fort, in denen die Bewegung die KPCh anprangert. Außerdem wird ein Bündnis aus Menschenrechtsaktivisten, Wissenschaftlern und NGOs, das die Stimme gegen die Verfolgung der Kirche des Allmächtigen Gottes erhebt, immer stärker, womit die KPCh nicht gerechnet hatte. Die Tatsache, dass eine Million Uiguren unter unmenschlichen Bedingungen in Transformation durch Bildung-Lagern interniert sind, hat in der internationalen Gemeinschaft starke Reaktionen ausgelöst. Und die Muslime sind international natürlich breiter und mächtiger aufgestellt, als die xie jiao.
Dennoch scheint es so, als ob Xi Jinping bewusst beschlossen hätte, auf die internationale Kritik lediglich mit verstärkten Propagandabemühungen zu reagieren, Fake News zu verbreiten und eine bestimmte Anzahl an internationalen Politikern, Journalisten, und Wissenschaftlern zu manipulieren oder zu bestechen. Letztlich scheint es so, als ob es für Xi wichtiger sei, die Religion auszurotten, als das abgrundtief schlechte Image der KPCh und der Regierung in Hinblick auf die Menschenrechte zu verbessern.