Bitter Winter besuchte den Istanbuler Vorort Zeytinburnu und hörte sich die traurigen Geschichten der Leben und Familien der Uiguren an, die durch die Verfolgung durch die KPCh zerstört wurden.
Ruth Ingram
„Die Sehnsucht und der Verlust sind wie ein Ofen, der in meinem Herzen brennt“, sind die Worte eines Uiguren, der von seiner Familie getrennt und in ein Lager in einer der abgelegensten Gegenden der Autonomen Region Xinjiang in China geschickt wurde – einem Gebiet, das eine der größten Inhaftierungen einer ethnischen Gruppe seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt.
Während Millionen auf der chinesischen Seite der Grenze auf ihr Klopfen an der Tür warten, sind mehr als zwei Millionen ihrer Freunde und Verwandten bereits in dem riesigen, labyrinthischen Netzwerk der sogenannten Transformation durch Bildung-Lager verschwunden, die die Provinz überziehen. Keine der beiden Seiten weiß, wann oder ob sie sich jemals wiedersehen werden. Andere, denen die Flucht gelungen ist, bevor sich die Eisentüren vor zwei Jahren schlossen, leben in einer Welt der Unsicherheit – entweder in anderen Ländern Zentralasiens oder weit jenseits. Auch sie durchlaufen eine der größten Prüfungen ihres Lebens – physisch befinden sie sich im Exil, aber ihre Herzen und ihre Seelen sind in ihrer Heimat, bei denen, die sie lieben. Ihr Geist ist vor Sehnsucht und Trauer für diejenigen zermartert, von denen sie wissen, dass sie nur sehr geringe Chancen haben, sie wiederzusehen.
Eine große Anzahl von Uiguren, viele davon Muslime, aber nicht alle, die der drakonischen Überwachung, dem harten Vorgehen und zufälligen Razzien zu Hause entkommen sind, haben im Laufe der Jahre in der Türkei Zuflucht gefunden – ganz besonders in den letzten drei Jahren, seit Chinas Präsident Xi Jinping auf Lebenszeit als Staatschef ernannt wurde. Von der türkischen Regierung wegen ihres gemeinsamen türkischen Erbes begrüßt, haben sie die Seitenstraßen ihres bunten Stadtteils in eine kleine Nachbildung ihrer Heimat verwandelt. Uiguren passen sich nicht so leicht an andere Kulturen an und indem sie einen Hauch ihrer alten in ihre neue Heimat bringen – Naan-Brotöfen, uigurische Kliniken für traditionelle Medizin, Gemüseläden, die hauptsächlich Zutaten für Nationalgerichte verkaufen, und sogar eine Avral-Eisdiele, die das geliebte Eis nach einem geheimen, hausgemachten Rezept aus Ghulja an der Grenze zu Kasachstan verkauft – trägt dies dazu bei, die Last dieses grausamen Exils zu mindern.
„An einem guten Tag haben wir das Gefühl, wir würden durch die Straßen von Urumqi schlendern“, sagte Nurgul, derzeit quasi Witwe, die es geschafft hat, mit drei ihrer Kinder zu fliehen. Ihr Mann wird in einem Lager festgehalten und weil ihre restlichen drei Kinder, die Zahl der von der Geburtenkontrolle erlaubten Anzahl von Kindern überschritten, konnte sie ihnen keinen Reisepass besorgen. Sie war gezwungen, sie in Xinjiang zurückzulassen –
zuerst bei Verwandten, doch jetzt vermutet sie, dass sie in staatlichen Waisenhäusern leben, nachdem diese auch in die Lager gekommen sind. „So sehr wir auch versuchen, Xinjiang hier nachzubilden, kann nichts die unaufhörliche Sehnsucht in meinem Herzen nach meinen Kindern und meiner Familie ersetzen“, sagte sie.
Zentralasiaten aller Stämme und Sprachen mischen sich in Zeytinburnu, einem der vielen Vororte von Istanbul, unter die einheimischen Türken. Während eine stetige Anzahl von Usbeken, Turkmenen, Kirgisen und Kasachen im Laufe der Jahre weitgehend freiwillig ausgewandert ist und viele ihrer Händler immer noch auf den Basaren vertreten sind, sind die Uiguren buchstäblich um ihr Leben geflohen –
ohne Nation, die sie Heimat nennen könnten. Und obwohl sie lächeln und so gut sie können mit dem Leben zurechtkommen, ist das Treiben ihrer verbannten Gemeinschaft nur eine dünne Fassade, die sofort zusammenbricht, wenn ein Name, ein Musikstück oder Gedanken an die Zukunft und das, was ihren Kindern bevorsteht, erwähnt werden. Der Schmerz und die Trauer sind spürbar und liegen direkt unter der Oberfläche der uigurischen Tragödie.
Jeder einzelne der Exil-Uiguren in den Gassen, der einen Kinderwagen vor sich herschiebt, Waren trägt, Arm in Arm am Straßenrand sitzt oder mit Kindern im Park spielt, hat eine tragische Geschichte zu erzählen. Oberflächlich betrachtet scheinen sie zurechtzukommen, aber alle erleben die emotionalen Folgen der Grausamkeit, die ihren Lieben zu Hause angetan wird.
Einer der Anführer der uigurischen Gemeinschaft in Zeytinburnu, Kerem Zeyip, sagte, dass die gesamte Gemeinschaft schwere „emotionale Leidensphasen“ durchmacht, die durch Sorge, Unsicherheit, Stress und tiefe Traurigkeit über das Schicksal von Verwandten im Heimatland verursacht werden. Eines ihrer größten Anliegen war das körperliche und seelische Wohlbefinden von 400 Witwen und Waisenkindern, die keinerlei Mittel der Unterstützung hatten. „Als ihre Männer in die Internierungslager gebracht wurden, flohen die Frauen mit so vielen Kindern, wie sie nur konnten, oder für die sie Reisepässe hatten“, sagte er. „Niemand hatte Kontakt mit den Hinterbliebenen, seit sie vor 2-3 Jahren hier angekommen sind und jeden Augenblick eines jeden Tages leiden sie darunter.“ „Jeder Kontakt wurde unterbrochen und wenn sie versuchen würden, ihre Verwandten anzurufen oder ihnen eine Nachricht zu schicken, würde dies eine unmittelbare Gefahr für sie bedeuten. Die meisten wurden von Verwandten gebeten, sie auf keinen Fall zu kontaktieren. Niemand weiß, ob die, die noch in Ostturkestan sind, (der Name, den die Uiguren in der Diaspora für ihre Heimat verwenden), noch am Leben oder schon tot sind.“
Während die türkische Regierung die Bildung von kompletten Waisenkindern unterstützt, besteht der größte Teil der uigurischen Diaspora aus Frauen und Kindern, die genauso gut Waisen sein könnten – ausgesetzt in einer tristen Nacht ohne eine Ahnung, was ihnen die Zukunft bringen wird. Dank Spenden ihrer Landsleute auf der ganzen Welt unterstützt die uigurische Gemeinschaft jede Witwe und jedes Waisenkind mit 16 Euro pro Monat. Ein Tropfen im großen Ozean der Not, aber genug, um das Nötigste zum Leben und Essen auf den Tisch zu beschaffen.
In dieser Gemeinschaft sind Trauer und Tränen immer präsent – alle wollen es erzählen, dann jedoch auch wieder nicht. Sie wollen nicht an ihre Trauer erinnert werden, die aber ständig da ist. Bekommt man die Gelegenheit zum Erzählen, dann strömt alles hervor – Tränen, Wut, Vorwürfe und Schuld, Trauer und „Wehklagen“ (dieses intensive Gefühl des Vermissens) – ein Wort, das die Seele eines Uiguren trifft. Das „Vermissen“ der Mutterliebe, der Umarmung eines Kindes, der Heimat und der Heimstatt… die Reben, die Obstbäume, die Melonen, die Birnen, die Walnüsse und die Mandeln. Der Reichtum des Landes liegt in ihrem Garten und das Gefühl, zu einer Familie und einer „Nation“ zu gehören, an Sommerabenden auf dem Kang (eine große hölzerne Plattform unter sich ausbreitenden Weinreben im Garten) … Jeder von ihnen hat eine Jurte (eine Heimstatt), aber diese Jurte ist für immer verloren, zusammen mit denen, die sie einst bewohnt haben.
Hier ist die Politik von Peking besonders grausam. Es wird nicht nur versucht, die Probleme zu Hause auf diese drakonische Weise anzugehen, sondern die Auswirkungen auf die ganze Welt sind spürbar. „Man fragt sich, ob sie das alles wirklich durchdacht haben“, sagte Kerem, Vorstand der Gemeinde. „Sie zerstören nicht nur das Leben von Millionen Menschen in den Lagern, sondern richten auch ungeahnten Schaden an allen anderen Uiguren an, wo immer diese sich auch befinden mögen. Die emotionalen Folgen ihrer Strategie werden in Zukunft unermessliche Aus- und Rückwirkungen haben. Der Schaden durch das zerbrochene Leben, wenn es wiederauftaucht, die Schwierigkeit, Gemeinschaften und Vertrauen wiederaufzubauen, ist nicht abzusehen“, sagte er, kaum in der Lage, seine Tränen zurückzuhalten. „Und erst unsere Kinder – wie sollen wir sie jemals wiederfinden, verstreut in Waisenhäusern in ganz China, vielleicht sogar adoptiert von chinesischen Familien und verstreut auf der ganzen Welt? Aber vielleicht ist das genau was sie vorhaben – uns zu brechen und zu zerstören“, so Kerem, „bis keiner mehr übrig ist.“