Im Rahmen der KPCh-Kampagne, in der die Religionen „chinesischer“ gemacht werden sollen, werden die Kirchenleute der Drei Selbst-Kirche gezwungen, die Bibel durch das Prisma der traditionellen chinesischen Kultur zu betrachten.
von Wang Yichi
Am 18. Juli ließ das Büro für Religiöse Angelegenheiten der Stadt Yuzhou in der Zentralprovinz Henan Bücher mit dem Titel Die Analekten treffen die Bibel an alle ortsansässigen Drei Selbst-Prediger verteilen. Die Predigten sollten auf der Grundlage dieses Buches vorbereitet werden. Autor des 2014 veröffentlichten Buches ist Shi Hengtan. Shi hat an der Universität von Peking promoviert und ist Mitglied des Instituts für Weltreligionen an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften. Er bezeichnet sich selbst als Christ, der sich der biblischen Interpretation der Analekten widmet – den Lehren und Ideen, die Konfuzius, dem einflussreichsten chinesischen Philosophen und Lehrer, zugeschrieben werden.
Es heißt, dass sein Werk Die Analekten treffen die Bibel darauf hinzielt, Brücken zwischen dem Christentum und dem Konfuzianismus zu bauen. Der Konfuzianismus ist ein moralisches und ethisch-philosophisches System, das die Grundlage für die Werte und das Sozialverhalten der Chinesen bildet. Das Buch soll Christen dabei helfen, mehr über ihre traditionelle Kultur zu erfahren.
In der religiösen Community hat das Buch jedoch Kontroversen ausgelöst. Viele Christen betrachten die Thesen im Buch als Fehlinterpretation der reinen Christenlehre. Manche bezeichnen das Buch sogar als häretisch und mahnen die Christen, sich vor solch einer von der KPCh dirigierten Aushöhlung der Lehre in Acht zu nehmen.
Ein Prediger aus der Gegend von Yuzhou erklärte, dass die Thesen in Die Analekten treffen die Bibel die Lehren der Bibel völlig verzerren und Christen in die Irre führen würden. So heißt es zum Beispiel in dem Buch, dass das chinesische Wort li („Anstandsregeln“) wie es in den Analekten erklärt wird, „dem Gesetz“ in der Bibel entspräche. Oder die von Konfuzius geforderte „Güte“ der „Liebe“ des Christentums. Der Prediger meinte, dass „Anstandsregeln“ und „Güte“ in den Analekten dazu verwendet werden, die zwischenmenschliche Ethik und Moral zu erklären, während „das Gesetz“ in der Bibel für das Volk Gottes verpflichtend sei: Es müsse das Gesetz achten, um die Beziehung zu Gott aufrechtzuerhalten. „Die Liebe“ im Christentum – so der Prediger weiter – bezieht sich darauf, Gott und die Menschen gemäß Gottes Wort zu lieben. Ethik und Moral seien Maßstäbe, die von Menschen angesetzt wurden. Sie unterscheiden sich wesentlich von den Forderungen Gottes und sollten nicht mit diesen gleichgesetzt werden.
Der Prediger nannte ein Beispiel für die Fehlinterpretationen der Bibel in dem Buch: Das konfuzianische Sprichwort „Zwischen den vier Meeren sind alle Menschen Brüder“ sei gleichbedeutend mit „Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder, Schwester und Mutter. (Matthäus 12,50). Der Prediger bezeichnet diesen Vergleich als absurd, denn die Botschaft des Konfuzius lautet, dass, wenn ein Mensch andere nach gewissen moralischen Regeln mit Respekt behandelt, jeder diesen Menschen auf gleiche Art behandeln wird – so wie einen Bruder. Dies bedeute jedoch nicht dasselbe wie „den Willen des Vaters tun“.
„Eine Unterrichtseinheit über die Analekten dauert einen ganzen Tag lang. Die Teilnehmer mussten sogar Fotos machen, auf denen sie mit der Bibel in der einen und den Analekten in der anderen Hand zu sehen waren, und diese Bilder online stellen“, erzählte ein Christ einer Hauskirche aus dem Jinaner Stadtbezirk Lixia in der im Osten Chinas gelegenen Provinz Shandong.
Christliche Prediger haben darauf hingewiesen, dass die Regierung die Kirchenleute dazu verpflichtet, an vergleichenden Lesungen der Analekten und der Bibel teilzunehmen, um das Christentum zu „sinisieren“. Dies sei Teil einer Kampagne, um den christlichen Glauben in China zu kontaminieren.
Der bekannte, in den USA lebende chinesische Pastor Liu Yi warnte die Gläubigen vor der Mitwirkung der Regierung bei der Durchführung solcher Aktionen. „2015 habe ich zahlreiche Artikel geschrieben, in denen ich die Verschwörung hinter dieser Aktion offengelegt und erklärt habe, dass diese dazu dienen soll, die KPCh bei der ‚Sinisierung des Christentums‘ in den Kirchen zu unterstützen. Shi Hengtan hat auf seinem öffentlichen WeChat-Konto immer wieder abgestritten, dass diese Aktion in Zusammenhang mit der Sinisierung des Christentums steht. Doch Shis soziale Identität, seine Tätigkeiten sowie die Reden, die er gehalten hat, können nicht losgelöst von der Kampagne zur Sinisierung des Christentums betrachtet werden.“
In einem Artikel für ChinaAid weist der ehemalige Oberpastor der Chinese Bible Church in Maryland (USA) auf ein Interview mit Shi Hengtan hin, das 2012 im Sprachrohr der KPCh, der Global Times, veröffentlicht wurde. Darin erklärte Shi, dass seine Erläuterungen der Analekten eine weitere Bemühung darstellten, dem Christentum bei der Integration in die chinesische Kultur zu helfen. „Was mich so vorsichtig werden lässt, ist die Tatsache, dass er [Shi Hengtan] so aktiv in der sogenannten ‚Sinisierung des Christentums‘-Kampagne ist, welche die chinesische Regierung angeleiert hat“, schreibt Pastor Liu in dem Artikel. „Aus diesem Grund habe ich mich eingehender mit seinen Aktivitäten beschäftigt.“
Die KPCh-Politik, nach der christliche Kirchenleute gezwungen werden, traditionelle chinesische Kultur und sozialistische Ideologie in die täglichen Gemeindeaktivitäten einzubinden, ist im Land weit verbreitet. Im April brachten die zwei Chinesischen Christenräte in der nordöstlichen Provinz Jilin die Mitteilung zur Umsetzung des Aktionsvorschlags zu den Vier Anforderungen und zur Aktiven Durchführung der Vier Anforderungen heraus. Darin wird verlangt, dass in den Kirchen Teezeremonien durchgeführt und vergleichende Lesungen von Analekten und der Bibel abgehalten werden. Ziel ist es dabei, die traditionelle chinesische Kultur in die christliche Lehre einzubinden. Ähnliche Dokumente wurden von den Stadtregierungen in Shandong, Henan und anderswo herausgegeben.
Christen aus unterschiedlichen Ortschaften berichteten, dass auf Regierungsgeheiß hin in staatlich geleiteten Kirchen Schautafeln aufgehängt wurden, auf denen die Bibel mit den Analekten und anderen Konzepten der chinesischen Kultur verglichen wird.
„Die KPCh verändert unseren Glauben auf subtile Art und Weise. Wenn es mittlerweile das Gleiche ist, ob man die Bibel oder die Analekten liest – bedeutet das dann nicht, dass es ausreicht, die Analekten zu lesen und an Konfuzius zu glauben? Das ist eine Aushöhlung des Christentums“, sagte ein Prediger einer Drei Selbst-Kirche.