Zusätzlich zu den allgegenwärtigen Überwachungssystemen müssen Gläubige in China sich auch noch vor Regierungsangestellten in Acht nehmen, von denen sie rund um die Uhr überwacht werden.
Sun Kairui
Für gewöhnlich werden niederrangige Parteifunktionäre und sogar Vermieter und Mitarbeiter der Versorgungsbetriebe dafür eingesetzt, Gläubige auszuspionieren: Bei ihren Gottesdiensten, ihrer Missionstätigkeit oder einfach bei Treffen mit Freunden. Die Zahl der Spitzel steigt aufgrund von Boni oder Zwang exponentiell an, was den Gläubigen das Leben unerträglich schwer macht.
Spitzel-Quoten für Rasterverwalter
Am 22. November 2018 wurden in der Provinz Anhui im Osten Chinas vier Prediger von der Polizei angehalten. Sie waren gerade auf der Heimreise, nachdem sie in der Großgemeinde Chengguang im Zuständigkeitsbereich der Stadt Bozhou das Evangelium gepredigt hatten. Drei von ihnen wurden verhaftet. Später stellte sich heraus, dass ein lokaler Spitzel am Akzent der Prediger erkannt hatte, dass sie aus einer anderen Gegend stammten, weswegen er sie gemeldet hatte.
Die Behörden setzen solche Spitzel – für gewöhnlich Rasterverwalter – ein, um 15 bis 20 Haushalte (die “Raster“) zu überwachen. Die Spitzel informieren die Behörden zu jeder Tages- und Nachtzeit über jegliche “verdächtigen“ Aktivitäten – auch religiöser Art. Die Verwalter, die mit allen Bewohnern und deren Gewohnheiten vertraut sind, stellen eine unschätzbare Informationsquelle dar.
Ein Rasterverwalter aus der Provinz Jilin im Nordosten Chinas berichtet, dass auch zu seinen Aufgaben gehört, die religiösen Versammlungsstätten und Gläubigen in seinem Raster zu kennen und zu überwachen. Außerdem ist er damit beauftragt, “Hinweise und Informationen über religiöse Infiltration und illegale religiöse Aktivitäten in seinem Raster zu suchen und zu sammeln, und diese umgehend weiterzuleiten – und er muss seine Vorgesetzten bei der „Arbeit zur Stabilisierung“ auf dem Feld der Religion unterstützen.“
Sein Kollege aus dem Kreis Chun’an im Zuständigkeitsbereich der Stadt Hangzhou in der Provinz Zhejiang im Osten Chinas erzählte Bitter Winter, dass es in seiner Gegend sogar sogenannte “friedliche Rastergruppen“ gäbe, die aus niederrangigen Regierungsangestellten, Parteimitgliedern und arbeitslosen Vagabunden bestünden, welche gemeinsam Nachbarschaftsviertel überwachten. Alle Rasterverwalter müssen täglich drei bis vier wertvolle Informationen weitergeben. Für jede davon erhalten sie 3 Yuan (ungefähr 0,3 EUR). Sie gehen auch in die Kirchen, machen Fotos und berichten den übergeordneten Behörden, was dort vor sich geht.
Parteimitglieder geben sich als Gläubige aus
Lokale Regierungsangestellte und normale KPCh-Mitglieder auf Kreis-, Gemeinde- und Dorfebene werden immer stärker in die Religionsarbeit eingebunden. Sie gehen fieberhaft gegen Gläubige vor, weil sie persönliche Verantwortungserklärungen dafür haben unterzeichnen müssen. Manche von ihnen wurden zu “Informationsbeamten“ ernannt: Sie müssen speziell religiöse Aktivitäten überwachen und melden. Dafür gehen sie in die Kirchen, hören sich Predigten an und überwachen Gemeinden – manchmal tarnen sie sich dabei.
Ein Pastor aus der Stadt Shangqiu in der Zentralprovinz Henan berichtete, dass er am 14. April, als er gerade die Predigt hielt, eine Nachricht erhalten habe. In der Nachricht stand: „In der Kirche sind [Regierungs]führer, die heimlich ermitteln. Sei vorsichtig.“
Auf einem Sondertreffen letzten September beschloss eine Kreisregierung im Autonomen Gebiet Innere Mongolei folgendes: Alle Dörfer in ihrem Zuständigkeitsbereich müssten “Führungsgruppen zur Verwaltung der Religionsarbeit“ bilden. Diese sollten aus dem Dorfsekretär und dem Leiter des Dorfkomitees jedes Dorfes, sowie normalen Mitgliedern des Parteizweigs und des Dorfkomitees bestehen. Die Gruppen sollten sich hinsichtlich der religiösen Aktivitäten auf dem Laufenden halten und private religiöse Versammlungsstätten umgehend melden – ebenso wie jegliche Aktivitäten, in die religiöse Persönlichkeiten von außerhalb der Gegend verwickelt sind, oder Aktivitäten der lokalen Gläubigen. Außerdem sollten sie in den Haushalten nach Kreuzen und anderen religiösen Symbolen suchen.
Spitzelteams in der Drei Selbst-Kirche
Ein Insider der Staatssicherheitsbrigade aus der Provinz Fujian im Südosten Chinas berichtete, dass die Regierung heimlich “Vollstreckungsteams“ für Drei Selbst-Kirchen in der Gegend gebildet habe. Die Mitglieder dieser Teams sind normale Gläubige, die von der Regierung bestochen oder gezwungen wurden. Sie erstatten dem Büro für Ethnische und Religiöse Angelegenheiten der Stadt direkt Meldung, wenn zum Beispiel Prediger von außerhalb der Gegend kommen, Parteimitglieder die Kirche besuchen, der Inhalt der Predigt nicht den Regierungsanforderungen entspricht und so weiter.
Die Quelle berichtete, dass in jeder Kirche mehrere spitzelnde Gläubige platziert wurden, ohne dass sich die Gemeindemitglieder oder der Klerus dessen bewusst sind. Die Spitzel erhalten monatlich Zuwendungen von der Regierung. Wenn sie einen guten Hinweis finden, oder inoffizielle Kirchen und deren Leiter melden, können sie ebenfalls einen beträchtlichen Bonus erhalten – vor allem, wenn es sich um eine als xie jiao eingestufte religiöse Gruppe handelt.