Die von der Victims of Communism Memorial Foundation organisierte Gedenkveranstaltung zum 30. Jahrestag des Massakers ist eine deutliche Botschaft an Peking. Bitter Winter war dabei.
Marco Respinti
Viele Leute behaupten, der Kommunismus sei tot und gehöre der Vergangenheit an. Unglücklicherweise haben Millionen und Abermillionen chinesischer Bürger nachvollziehbare Gründe, um dieser unbedachten Äußerung zu widersprechen. Die (gesegnete) Tatsache, dass die Herrschaft der osteuropäischen kommunistischen Staaten des sogenannten Sowjetblocks in der Zeit von 1989-1991 zerbrach, gibt niemandem das Recht, zu behaupten, der Kommunismus in China sei verschwunden – ein solches Verschwinden ist weder dokumentiert, noch belegt, noch hat es stattgefunden. Solche Behauptungen entspringen dem Wunschdenken zu vieler Menschen im Westen, die nur zu gerne die grauenvollen Zustände in China vergessen, um mit den Tyrannen in Peking lukrativen Handel zu treiben. Doch damit sprechen sie von einem zukünftigen Ereignis, das noch nicht eingetreten ist – aber mit Sicherheit eintreten wird, und das vielleicht früher als China und der Westen sich das vorstellen. Dies sagte Dr. Lee Edwards bei der Gedenkveranstaltung zum Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) am 04. Juni auf dem West Lawn des US-Kapitols in Washington D.C.
Organisiert wurde die Veranstaltung von der Victims of Communism Memorial Foundation, einer im Jahr 1994 gegründeten gemeinnützigen Bildungs- und Menschenrechtsorganisation. Die Organisation errichtete auf der Grundlage eines einstimmig im Kongress verabschiedeten Gesetzes ein Denkmal für die weltweiten Opfer des Kommunismus in Washington, D.C., welches von dem US-Präsidenten George W. Bush am 12. Juni 2007 (dem 20. Jahrestag von Präsident Ronald Reagans (1911-2004) berühmter Rede vor der Berliner Mauer („tear down this wall“ – „reißen Sie diese Mauer nieder“)) eingeweiht wurde. Die Stiftung betrachtet den Kommunismus als Verbrechen gegen die Menschheit und immer noch weit verbreitete und tödliche Plage. Ein Herr im Publikum, der ein Solidarność-T-Shirt trug, drückte das auf einem Schild aus, auf dem zu lesen stand: „Sozialismus bedeutet Völkermord“.
Der Vorsitzende der Stiftung, Dr. Lee Edwards, ist ein geschätztes Mitglied der konservativen Denkrichtung am B. Kenneth Simon Center for American Studies in Washington D.C. und Autor von 15 Büchern. Er organisierte die Veranstaltung gemeinsam mit seiner Kollegin Kristina Olney, der Leiterin für Government Relations.
Nacheinander sprachen mehrere Vertreter von über 20 Menschenrechtsorganisationen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen und politischer Richtungen. Im Hintergrund leuchtete das weiße Kapitol unter einem blauen, sonnigen Himmel. Eine Vorahnung des Sommers lag in der Luft und viele betrachteten dieses Strahlen der Natur als symbolisches Hoffnungszeichen für die Menschenrechte in China.
Zu den Sprechern gehörten Anni Boyajian, Leiterin der Rechtsabteilung von Freedom House, Dr. Jianli Yang, Vorsitzender von Citizen Power Initiatives for China, Wei Jingsheng, Gründer der Wei Jingsheng-Stiftung, Dr. Wang Dan, Gründer von Dialogue China, Rushan Abbas, Gründerin und Leiterin der Campaign for Uyghurs, Matteo Mecacci, Leiter der International Campaign for Tibet, Tendor Dorjee vom Tibet Action Institute & Students for a Free Tibet, Dr. Sophie Richardson, Leiterin von Human Rights Watch China, Francisco Bencosme, Leiter für den asiatisch-pazifischen Raum für Amnesty International USA, Schwester Tracy Jiao von der Kirche des Allmächtigen Gottes, Dee Wu, Politische Koordinator der Formosan Association for Public Affairs und Jenny Wang, Co-Direktorin und Organisatorin von Keep Taiwan Free.
Reggie Littlejohn, Vorsitzende von Frauenrechte ohne Grenzen hielt eine bewegende Rede zur „Ein-Kind-Politik“ der KPCh, in deren Rahmen der Staat Familien nach der Geburt ihres ersten Kindes zu Abtreibungen zwang. Diese Politik wurde nun in eine „Zwei-Kind-Politik“ umgewandelt, was „[dem] Abschlachten kein Ende gesetzt hat“. Littlejohn kam zu dem Schluss, dass „es das Kennzeichen kommunistischer Regime sei, die eigenen Untertanen in Zeiten des Friedens zu töten.“
Danach sprach Kristina Lantos-Swett, die Tochter des aus Ungarn stammenden Tamás Péter Lantos (1928-2008), der als Tom Lantos bekannt war und sich als US-amerikanischer Abgeordneter der Demokraten für Kalifornien der Verteidigung der Menschenrechte verschrieben hatte. Seine Tochter, die Vorsitzende der Lantos-Stiftung für Menschenrechte und Gerechtigkeit, rief zu einer parteiübergreifenden Lösung dieser schwerwiegenden Probleme auf.
Sehr persönlich und bewegend waren die Beiträge der Überlebenden des Tiananmen-Massakers, die auf der Veranstaltung über ihre Erinnerungen, Sorgen und Erwartungen sprachen. Besonders hervorzuheben sind hier Chen Guangcheng, der bekannte blinde Rechtsanwalt, der aus dem Hausarrest in China floh, sowie der wohl weltweit bekannteste chinesische Christ, Bob Fu, der Vorsitzende von ChinaAid (und ehemalige Studentenführer während der Demonstrationen auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989).
Bitter Winter nahm als einer der zahlreichen Mitorganisatoren an der Veranstaltung teil und äußerte einige bemerkenswerte Kommentare, in denen die wichtige Rolle, welche die Religion nach Einschätzung der KPCh beim Fall des Kommunismus in Osteuropa gespielt hat, hervorgehoben wurde. Diese Einschätzung diente in den 30 Jahren, die seit dem Fall vergangen sind, als Vorwand dafür, erbarmungslos gegen alle Religionsgruppen und religiösen Menschen vorzugehen, um das kommunistische China vor dem gleichen Schicksal zu bewahren.
Auch einige US-Politiker wandten sich an das Publikum: der Abgeordnete James P. McGovern (D-MA), Vorsitzender des US-Kongressausschusses über China, der Abgeordnete Christopher H. Smith (R-NJ), Vize-Vorsitzender der selben Institution, und der Abgeordnete Andy Levin (D-MI), Mitglied des Unterausschusses für Asien, den Pazifik und Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (der zum Ausschuss für Auslandsangelegenheiten des US-Repräsentantenhauses gehört). Sie beschrieben die grauenvolle Lage zahlreicher ethnischer Gruppen, Bürger und Gläubiger, die heute unter der KPCh-Herrschaft leiden. Sie erklärten, dass die Menschenrechte niemals für Geschäfte zwischen den USA und China geopfert werden dürften – auch wenn diese legal seien.
Nancy Pelosi (D-CA), die Sprecherin des Repräsentantenhauses, nahm ungeplant an der Veranstaltung teil und erinnerte in ihrer Rede an den Tag, an dem sie und andere Kongressmitglieder im Jahr 1991 unter der misstrauischen Überwachung der KPCh eine Gedenkreise zum Tiananmen-Platz unternommen hatten. Sie bekannte sich zur Verteidigung der Menschenrechte und rief zur umgehenden Beendigung sämtlicher Verbrechen der chinesischen Regierung auf. Ihr wurde die Ehre zuteil, die Statue des „Tank Man (Panzermann)“ zu enthüllen, die von dem berühmten Foto eines chinesischen Zivilisten inspiriert wurde, der einen Panzerkonvoi aufhält.
Die Besucher der Veranstaltung konnten sich auch die Ausstellung „Mütter von Tiananmen“ ansehen. Diese zeigt bewegende Porträts von Müttern, deren Kinder brutal auf dem Tiananmen-Platz ermordet wurden. Sie altern, die meisten von ihnen sind bereits gestorben, doch sie werden niemals allein sein. Es ist in der Tat eine moralische Verpflichtung für jeden von uns, an ihrer Seite zu stehen und die Fackel der Freiheit aus ihren sterbenden Händen entgegenzunehmen und sie mit neuer Kraft voranzutragen. Einer der bewegendsten Momente der Veranstaltung war, als den „Müttern von Tiananmen“ die Truman-Reagan-Freiheitsmedaille verliehen wurde. Mi Ling Tsui, der Leiterin für Kommunikation bei der Organisation Human Rights in China, nahm die Medaille im Namen der „Tiananmen Mütter“ von Marion Smith, dem Geschäftsführer der Victims of Communism Memorial Foundation, entgegen.
Die viel besuchte Veranstaltung, über die von zahlreichen TV-Sendern und anderen Medien berichtet wurde, war ein Erfolg. Nicht in einem selbst beweihräuchernden, herablassenden oder gönnerhaften Sinne, wie bei einer etwas kitschigen, nostalgischen Wiedervereinigung, sondern in dem Sinne, dass sie eine klare Botschaft an Peking übermittelte: Wenn der Kommunismus in China lebt und um sich schlägt, so gilt das auch für die Dissidenten, Aktivisten und Beobachter. Menschen, die von der Regierung unterdrückt werden, können vergeben – aber nicht vergessen. Das Blut der Märtyrer vom Tiananmen-Platz ruft uns dazu auf, weiter zu kämpfen, bis die Freiheit gesiegt hat. Von Washington aus wurde eine deutliche Botschaft in die Welt hinaus gesandt: Kein Verbrechen bleibt unbemerkt, kein Unrecht kann für immer andauern. Die Gerechtigkeit wird siegen. Es ist nur eine Frage der Zeit.