Um “westliche Infiltration“ zu verhindern und die Religion aus den Schulen zu verbannen, ändert die KPCh sogar den Inhalt von literarischen Klassikern und von Schulbüchern für den Chinesisch- und Geschichtsunterricht.
Shen Xinran
Im vergangenen Jahr hat die KPCh eine landesweite Kampagne gegen den religiösen Glauben an chinesischen Schulen gestartet. Die Schüler werden gezwungen, einen Eid darauf zu leisten, religiösem Glauben zu widerstehen sowie Weihnachten und andere christliche Feiertage zu boykottieren. Dies müssen sie mit ihrem Namen unterzeichnen. Gleichzeitig werden die Lehrinhalte überprüft und die Lehrer in eigens dafür konzipierten “Unterstützungssitzungen“ indoktriniert. Damit soll “sichergestellt werden, dass Bildung und Lehre den korrekten politischen Vorschriften treu bleiben“
Bibeln und Gottes Segen verboten
Um ihr Ziel einer religionsfreien Lehre zu erreichen, nimmt die KPCh nun Änderungen an Büchern internationaler Autoren vor, die in den Grund- und weiterführenden Schulen gelesen werden.
Ein Elternteil eines Schülers aus der nördlichen Provinz Hebei berichtete, dass Textstellen in der, von der People’s Education Press im Januar 2019 herausgegebenen, neuen Ausgabe des chinesischen Lesebuchs für die 6. Klasse gelöscht oder verändert worden seien.
In der Originalversion von Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe findet sich folgende Stelle: „Auch drei gute Bibeln waren mir in die Hände gefallen […] Sodann hatte ich einige portugiesische Bücher, darunter drei katholische Gebetbücher und verschiedene andere Schriften, aus dem Wrack mitgenommen und sorgfältig aufbewahrt.“ Im neuen Lesebuch wurde der Text bezüglich der Bibel und Gebetbücher gelöscht. Dort steht nur noch: „Sodann hatte ich einige portugiesische Bücher mitgenommen.“
In der Textstelle „fiel mir ein, dass, wenn ich keine Vorkehrungen träfe, ich aus Mangel an Büchern, Feder und Tinte in der Zeitrechnung irre werden müsse und bald sogar den Sonntag nicht mehr von den Wochentagen würde unterscheiden können.“ wurde der Sonntag durch “Ruhetag“ ersetzt.
Auch die Kurzgeschichte Wanka des russischen Autors Anton Tschechov wurde bis zur Unkenntlichkeit verändert. Religiöse Ausdrücke in der Originalversion – wie zum Beispiel “den Sonntagsgottesdienst besuchen“, “hoffen, dass Gott dir seinen Segen schenkt“, “Ich werde für dich beten“ und “in Gottes Namen, ich flehe dich an“ – wurden gelöscht. Der Ausdruck “um Gottes willen“ wurde durch “ach du meine Güte“ ersetzt.
Auch Hans Christian Andersens Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern wurde geändert. Der Satz: „Wenn ein Stern fällt, so steigt eine Seele zu Gott empor.” wurde zu „Wenn ein Stern fällt, dann stirbt ein Mensch.”
Die Eltern der Sechstklässler in Hebei betrachten die Änderungen und Verzerrungen ausländischer Klassiker durch die KPCh als Beleidigung gegenüber den Schöpfern dieser literarischen Werke. Außerdem sei dies auch ein Ausschluss und eine Unterdrückung westlicher Kultur und religiösen Glaubens.
“Heikle“ Wörter sind verboten
Im April lasen die Schüler einer Grundschule in der Stadt Puyang in der chinesischen Zentralprovinz Henan in ihrem Chinesisch-Sprachbuch. Einer der Schüler fragte den Lehrer, ob das Schriftzeichen 祷 [dǎo] (das meist an andere Schriftzeichen gebunden ist, um zusammengesetzte Wörter zu bilden und nur selten allein genutzt wird) auch dazu verwendet werden könne, um das Wort 祷告 [dǎogào] (“beten“) zu bilden. Der Lehrer antwortete streng: „Nein, das ist ein religiöses Wort. Ihr dürft keine heiklen Wörter verwenden, die religiöse Bedeutung haben.“
Berichten chinesischer Medien zufolge fordert die Zentralregierung, dass Schulbücher für die Grund- und weiterführenden Schulen in Einklang mit den staatlichen Richtlinien stehen müssen, und dass eine auf den Staatswillen ausgerichtete Bildung in allen vereinheitlichten Unterrichtsmaterialien widergespiegelt werden muss. Die Änderungen in den Schulbüchern gemäß der Ideologie der totalitären KPCh-Regierung beschränken sich nicht nur auf die Religion. Es ist unwahrscheinlich, dass irgendetwas, das in irgendeiner Weise der KPCh-Ideologie widerspricht, der Zensur entkommt.
In der, von der People’s Education Press herausgegebenen, Neuauflage des Schülerwörterbuchs Xinbian Xuesheng Zidian wurde bei der Einführung zum Schriftzeichen 自 [zì] das Wort 自由 [zìyóu] (“Freiheit“) entfernt.
Geschichtsbereinigung – Mao Zedong ist wieder da
In der aktuellsten Version des Chinesischen Sprach- und Lesebuchs für die Mittelschule wurde die Biografie von Chen She – ein Teil des 2000 Jahre alten Klassikers Die Aufzeichnungen des Chronisten gestrichen. Darin wird ein gescheiterter Aufstand gegen einen despotischen Herrscher beschrieben. Beobachter erklärten, dass der Grund dafür in einer Bemerkung liegt, die einer der Charaktere in diesem Text macht: „Erhalten Könige und Adelige ihren hohen Stand durch die Geburt?“ Dies klang den Behörden zu reaktionär.
In der neuen, vom chinesischen Bildungsministerium herausgegebenen Ausgabe der Geschichtsbücher für die Unter- und Mittelstufe finden sich ebenfalls inhaltliche Änderungen bezüglich der Fehler, die Mao Zedong während der Kulturrevolution gemacht hat. So wird versucht, diese Phase der chinesischen Geschichte zu beschönigen. Ursprünglich lautete der Text: „In den 1960ern dachte Mao Zedong fälschlicherweise, dass das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas Revisionismus betreibe, und dass sich die Partei und der Staat der Gefahr einer Wiedereinführung des Kapitalismus gegenüber sähen. Um die Wiedereinführung des Kapitalismus zu verhindern, initiierte er die Kulturrevolution.“ In der neuen Ausgabe wurde diese Stelle, wie folgt, abgeändert: „Mitte der 1960er dachte Mao Zedong, dass sich die Partei und der Staat der Gefahr einer Wiedereinführung des Kapitalismus gegenüber sähen. Aus diesem Grund verlieh er der Idee “den Klassenkampf als Grundlage zu nutzen“ Nachdruck und versuchte die Wiedereinführung des Kapitalismus dadurch zu verhindern, dass er die Kulturrevolution initiierte. Im Sommer 1966 war die Kulturrevolution bereits in vollem Gange.“
Manche Schulen gehen sogar so weit und lassen den Personenkult um Mao Zedong wieder aufleben. Im Dezember 2018 wurde eine neue Mao Zedong-Statue in einer Grundschule in der Gemeinde Wenji im Kreis Yucheng (Henan) enthüllt. Bei diesem Anlass bezeichnete ein Dorfparteisekretär Mao als “den Schutzgott des chinesischen Volkes und mächtiges spirituelles Symbol.“
Die Zensur der Bücher wird von atheistischer und kommunistischer Indoktrination der Schüler begleitet. Angepasst an die Gewohnheiten der Kinder und Jugendlichen drängen nun Apps für Mobiltelefone aufs Schulgelände, um aus den Schülern eine neue Generation loyaler Parteimitglieder und Anhänger des neuen “große Führers“ Xi zu formen. In der App “Volksjugendnetzwerk für jeden Tag“ werden die Schüler aufgefordert, an Leseaktionen teilzunehmen. Diese Aktionen stehen unter dem Motto “Lerne Neues und werde ein guter Nachfolger“. Aufgabe ist es, Artikel zu lesen und Fragen dazu zu beantworten. Zur “Lerne Xi starke Nation“-App gehört eine Initiative, die Schüler dazu aufruft, die Reden des Präsidenten zu lesen. Diese Initiative nennt sich “Junge Leute lernen Xi“.