In China werden seit Jahren Menschen festgenommen und geschlagen. Gegen sie wird ermittelt, weil sie es gewagt haben, als Unbeteiligte die Ausübung von Gewalt durch die Polizei zu dokumentieren. Warum fürchten sich die KPCh-Behörden vor Kontrolle?
Im August 2014 wurden Li Xianyang und viele andere Unbeteiligte in der Stadt Ningbo in der, im Osten Chinas gelegenen, Provinz Zhejiang Zeugen brutaler Polizeiangriffe auf Demonstranten. Viele Menschen nahmen mit ihren Mobiltelefonen Videos dieser Gewalttaten auf. Die Polizei aber schrie sie an, sie sollen mit den Aufnahmen aufhören und beschlagnahmten ihre Telefone. Li war es gelungen, ein paar Fotos aufzunehmen, die er später, zusammen mit von anderen aufgenommenen Videos, auf WeChat und anderen Online-Plattformen postete.
Li hatte nicht damit gerechnet, dass er deswegen Probleme bekommen würde.
Ein paar Tage später kamen Polizeibeamte zu Lis Wohnung und brachten ihn zu einer lokalen Polizeidienststelle. Sie befragten ihn über die weitergeleiteten Videos und erklärten, dass diese Posts ausreichende “Beweise“ darstellten, um ihn für zwei oder drei Jahre ins Gefängnis zu bringen. Unter wiederholten Drohungen wurde er gezwungen, eine vereidigte Aussage zu unterschreiben, in der stand: “Ich behaupte nicht, dass die Polizei Menschen schlägt.“ Außerdem musste er eine schriftliche Erklärung vorlegen, dass er in Zukunft keinerlei Videos dieser Art weiterleiten würde.
Nachdem die Polizei Li Fingerabdrücke und Blutproben abgenommen und Informationen über ihn aufgenommen hatte, erklärten sie seine Taten zur “Störung der Öffentlichen Ordnung“.
Damit galt Li Xiangyang als vorbestraft. Bis heute wird er wegen dieses Vorfalls noch schikaniert. So wurde Li im März 2018 bei einer zufälligen Kontrolle an einem Kontrollposten der Polizei in einer U-Bahnstation nach seinem Ausweis gefragt. Beim Einlesen des Ausweises bemerkte der Polizeibeamte den Eintrag über die Festnahme. Li durfte erst nach einer Befragung die U-Bahn benutzen. Im Juni wurde er einer ähnlichen Befragung unterzogen.
Ein weiterer Fall ist der des 15 Jahre alten Schülers Wang Ming aus der Stadt Heze in der, im Osten Chinas gelegenen, Provinz Shandong. Als sein Onkel ihn im Oktober 2018 zur Schule fuhr, sahen die beiden, wie ein Gebäude zerstört wurde, während über 50 mit Stöcken bewaffnete Strafvollzugsbeamte in schwarzer Uniform das Gelände sicherten. Es waren auch Regierungsbeamte vor Ort und die ganze Szene wurde mit einer ferngesteuerten Flugdrohne vom Himmel aus gefilmt.
Wangs Onkel wollte das Geschehen mit seinem Mobiltelefon aufnehmen, aber mehr als zehn Beamte umstellten das Auto und schleppten ihn in ein Gebäude am Straßenrand. Wang protestierte, doch auch er wurde in einen dunklen Raum in das Gebäude gebracht. Die Beamten schlugen ihn ungefähr fünf Minuten lang mit Ziegeln und Schemeln. Sie drohten ihm, dass er keinem von dem Vorfall erzählen dürfe. Sie zwangen ihn dazu, eine Stillschweige-Erklärung zu unterzeichnen.
Danach brachte die Polizei Wang zu einer lokalen Polizeidienststelle und hielt ihn dort bis zum Nachmittag fest. Als er entlassen wurde, waren seine Kleider zerrissen und er hatte blaue Flecken auf dem Rücken. Bei einer Untersuchung im Krankenhaus wurde festgestellt, dass er drei Rippenbrüche und einen Bruch am Querfortsatz seines Lendenwirbels erlitten hatte. Er konnte einen Monat lang sein Bett nicht verlassen. Seine Behandlungskosten beliefen sich auf beinahe 10 000 RMB (ungefähr 1313 EUR). Außerdem hing er dadurch auch im Unterricht zurück.
Im Sommer 2016 wurden zahlreiche Vorfälle von brutaler Polizeigewalt in China aufgezeichnet. Eine besonders heiße Debatte gab es einerseits um den Fall von Lei Yang und andererseits jenem von zwei Universitätsstudenten, die blutig geschlagen wurden, weil sie sich weigerten, Videos von brutaler Polizeigewalt auszuhändigen. Das lokale Büro für Öffentliche Sicherheit des Kreises Pingchang (Stadt Bazhong, Provinz Sichuan) erklärte, dass das “heimtückische Filmen“ von Strafvollzugsbeamten durch Bürger als rechtswidrig gelte, eine Erklärung, die internationale Kritik hervorrief.
Unter dem Druck der Öffentlichen Meinung führte das chinesische Ministerium für Öffentliche Sicherheit im Juli 2016 ein Trainingsseminar zum Umgang mit Bürgern, die Videoaufnahmen machen, durch und ordnete an, dass die Strafvollzugsbeamten sich daran gewöhnen müssten, dass sie von Menschenmengen beobachtet und gefilmt werden. Dies stieß bei vielen, denen dies nicht weit genug ging, auf Kritik: Sie argumentierten, dass der Mangel an Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas in dem gesamten politischen System begründet sei und mehr geändert werden müsse als nur ein paar Vorschriften zu Videoaufnahmen. Wie die Kritiker erwartet hatten, brachten die damals eingeführten Vorschriften keinerlei Fortschritte, die es den Bürgern erlaubt hätten, die Polizei zu kontrollieren.
Beobachter gehen davon aus, dass die Behörden vor dem Hintergrund, dass die KPCh ihre Alleinherrschaft und die “Aufrechterhaltung der Stabilität“ an erste Stelle setzt, es niemals erlauben werden, dass die Massen sie umfassend kontrollieren. Im Gegenteil, sie haben proaktiv die Zensur des Internets und der neuen Medien vorangetrieben. Sie setzen “Warnung durch Beispielfälle“ ein, um die Massen immer mehr einzuschüchtern und zu versklaven.
(Alle im Artikel verwendeten Namen wurden von der Redaktion geändert.)
Bericht von Li Mingxuan