Geistliche und Gemeindemitglieder von staatlich anerkannten Kirchen und Hauskirchen befürchten gleichermaßen, dass die Verfolgung des Christentums noch weiter eskalieren wird.
von Wu Haiping
Von den mehr als 100 gemeldeten Fällen, in denen in der nordöstlichen Provinz Jilin aus staatlich genehmigten Drei Selbst- und inoffiziellen Hauskirchen Kreuze entfernt wurden, ereigneten sich 54 in der Stadt Changchun und 38 in der Stadt Yushu. Einige Versammlungsstätten der Hauskirchen wurden nach der Entfernung von Kreuzen gleich ganz geschlossen. Dies stellt jedoch nur einen kleinen Teil aller jüngsten Fälle der gewaltsamen Entfernung von Kreuzen dar.
„Wenn wir das Kreuz nicht entfernen würden, würde die Versammlungsstätte geschlossen werden, sodass wir keine andere Wahl hatten, als einzuwilligen“, sagte ein Mitarbeiter einer Versammlungsstätte der Drei Selbst-Kirche im Bezirk Qian Gorlos im Zuständigkeitsbereich der Stadt Songyuan.
Ein Priester einer Drei Selbst-Kirche aus dem Landkreis Dongfeng im Zuständigkeitsbereich der Stadt Liaoyuan, kommentierte die groß angelegte Kampagne zur Entfernung von Kreuzen mit folgenden Worten: „Als Jesus sein Werk tat, glaubten die Menschen an ihn und nicht an die irdischen Monarchen. Sie wurden deshalb verfolgt. Die gleiche Situation haben wir auch jetzt: Xi Jinping glaubt, dass er der König von China ist.“ Der Priester ist der Meinung, dass, wenn die Behörden sagen, die Kreuze seien zu hoch, dies heißt, dass es in China zu viele Christen gibt, und dass dies für Präsident Xi unannehmbar ist.
Laut der für eine Versammlungsstätte einer Hauskirche in der Stadt Songyuan verantwortlichen Person hat die Lokalregierung die Kirche versiegelt und ihr Kreuz unter dem Vorwand der „Säuberung von Bandenkriminalität und der Ausrottung des Übels“ abgebaut – eine beliebte Ausrede, um gegen die Gläubigen vorzugehen.
Als sie einige Versammlungsstätten schlossen, behaupteten Regierungsbeamte, dass Hauskirchen ohne Genehmigung eine xie jiao sind und dass alle diese Orte geschlossen werden müssen. Wie Bitter Winter jedoch wiederholt berichtet hat, haben viele Hauskirchen eine mehrjährige Genehmigung beantragt, ohne sie jedoch jemals erhalten zu haben.
In einigen Ortschaften wurde die Anweisung zum Abbau der Kreuze von den lokalen Zwei Chinesischen Christenräten erteilt. „Seitdem ich mich an Studien über die ‚Sinisierung‘ des Christentums beteiligt habe, habe ich herausgefunden, dass die Zwei Chinesischen Christenräte nie etwas Nützliches getan und nie etwas zwischen Regierung und den Christen abgestimmt haben“, kommentierte ein Mitarbeiter einer Drei Selbst-Kirche in der Stadt Changchun. „Sie haben noch nicht einmal das Copyright-Problem der Bibel gelöst. Sie haben überhaupt keine substantielle Arbeit geleistet und uns auch absolut nicht geschützt. Stattdessen verraten sie uns weiterhin. Eigentlich sind sie das Sprachrohr und der Lakai der KPCh – sie werden einfach allen Ausländern präsentiert, damit die denken, alles sei in Ordnung. Wir wollen in Zukunft nichts mehr mit ihnen zu tun haben und sind bereit, jederzeit in die Untergrund-Kirchen zu wechseln.“
Andere Mitglieder der Hausgemeinde sind besorgt über die zukünftige Entwicklung des Christentums in China. Eine Lehrerin für Kindergottesdienste aus einer Hauskirche in der Stadt Changchun sagte, sie wollte den Menschen, die sagten, dass Jilin bald das gleiche Maß an Verfolgung gegen die Christen erfahren werde wie es in der zentralen Provinz Henan der Fall ist, zunächst nicht glauben. Aufgrund der hohen Konzentration von Christen sind in Henan die antireligiösen Kampagnen besonders heftig. So wurden zum Beispiel aus mehr als 300 religiösen Versammlungsstätten die Kreuze entfernt und allein letztes Jahr in der Stadt Xinjiang (Henan) 410 christliche Versammlungsstätten geschlossen.
„Ich hätte nie gedacht, dass es hier so schnell passieren würde“, sagte die Lehrerin, „doch die Lage hier ist jetzt entsetzlich. Die religiöse Verfolgung seitens des Staates wird immer strenger und das wird alles noch viel schlimmer werden.“
Ein Priester einer Drei Selbst-Kirche aus Changchun befürchtet, dass die Regierung den Hauskirchen verbindliche Auflagen auferlegen wird. „Entweder schließen sie sich der Drei Selbst-Kirche an, oder sie werden geschlossen. In einer Region in Henan gab es ursprünglich 80 Geistliche – inzwischen sind es nur noch acht, und sogar Drei Selbst-Kirchen werden abgerissen. Als man mir davon erzählte, war ich schockiert. Das ist einfach gnadenlos. Ich habe das Gefühl, dass uns das hier auch blad passieren wird.“
Die Verantwortlichen einiger Drei Selbst-Kirchen glauben ebenfalls, dass die Kontrolle der KPCh über ihre Kirchen immer strenger werden wird. Sie sind bereit, jederzeit zur Untergrundkirche zu wechseln. „Sie beginnen jetzt, Schritt für Schritt verschiedene Mittel einzusetzen, um diese nicht lizenzierten Kirchen und Versammlungsstätten zu schließen und die kleinen, die nicht ausreichend groß sind, mit der Drei Selbst-Kirche zusammenzulegen, um sie dann langsam durch Assimilation zu beseitigen. Und schließlich wird deine Kirche oder Versammlungsstätte dann geschlossen – ganz egal, ob du über die entsprechenden Genehmigungen verfügst, oder nicht. Selbst die Lage der Drei Selbst-Kirchen sieht nicht besonders gut aus“, sagte ein Priester einer Drei Selbst-Kirche.
Die Bedenken dieser Geistlichen sind nicht unbegründet. Parallel zum Abbau von Kreuzen hat die Regierung auch mit der Untersuchung und Überprüfung von Kirchen begonnen.
„Wie viele Gläubige hat die Kirche, wie viel Land belegt die Kirche, wie sehen die Eigentumsrechte des Gebäudes aus, welche Art von Aktivitäten werden ausgeübt sowie die Identität und der Hintergrund der Geistlichen – all das wurde bereits untersucht“, sagte ein Mitarbeiter einer Drei Selbst-Kirche voller Sorge. „Wir sind die ersten, die Opfer einer Razzia werden.“
Ein anderer Priester einer Hauskirche sagte: „Die Kommunistische Partei gibt als Grund für die Durchsetzung der Kontrolle über die Kirche die Angst an, dass sich die Menschen gegen ihr Regime stellen werden. Doch in Wirklichkeit werden sich Christen nie auflehnen. Man sollte nie versuchen, mit einer unvernünftigen Person zu reden. Die Kommunistische Partei gräbt jetzt gerade ihr eigenes Grab. Keine andere politische Partei ist so.“