Diese beiden neuen Religionsbewegungen werden als xie jiao betrachtet. Chinesischen Bürgern ist es verboten, ins Ausland zu reisen, um deren Seminare zu besuchen.
Am 27. Dezember 2018 wurde Zhang Xiaoyan, eine Angehörige der neuen Religionsbewegung Guan Yin Citta aus der Provinz Fujian im Südosten Chinas von den Behörden zum Verhör beordert, nachdem sie für den 28. jenes Monats ein Flugticket nach Malaysia gekauft hatte. Guan Yin Citta ist eine neue, auf dem Buddhismus basierende Religionsbewegung, die von dem in Australien lebenden chinesischen Lehrer, Meister Jun Hong Lu, gegründet wurde. Im Oktober 2017 veröffentlichte die KPCh-kontrollierte Beijing News einen Artikel, aus dem hervorgeht, dass Guan Yin Citta auf die xie jiao-Liste gesetzt worden ist.
Zhang wurde dazu gezwungen, eine „Verpflichtungserklärung“ aufzusetzen, in der sie den Behörden versicherte, dass sie nicht mehr ins Ausland reisen würde, um an religiösen Andachten teilzunehmen.
„Jetzt kann ich nirgends mehr hingehen. Sobald ich meinen Personalausweis verwende, um Tickets zu kaufen, werde ich überwacht“, berichtete Zhang. Sie war bereits zuvor von den Behörden bedrängt worden, ihren Glauben aufzugeben. Als sie im April 2018 ein Flugticket nach Singapur gebucht hatte, um an einer anderen Andacht teilzunehmen, wurde ihr gedroht, dass sie ihre Arbeitsstelle im öffentlichen Dienst verlieren könnte.
Vor kurzem erhielt Bitter Winter ein von den Behörden in einem Kreis in der Provinz Fujian herausgegebenes, vertrauliches Dokument. In diesem Dokument mit dem Titel Bekanntmachung über die Durchführung der Sondermaßnahme zur massiven Untersuchung, massiven Bereinigung und massiven Nachforschung bezüglich Guan Yin Citta steht, dass Guan Yin Citta 2009 von Australien aus nach China gekommen sei und sich dort schnell entwickelt hätte. Es wurde auf die xie jiao-Liste gesetzt, mit der Begründung, dass es „nicht rechtmäßig in China gemeldet“ sei und „außerhalb der Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh)“ stünde.
In dem Dokument steht auch, dass die Behörden die rechtlichen, administrativen, wirtschaftlichen und anderen Mittel voll ausschöpfen sollten, um dagegen vorzugehen, dass sich Guan Yin Citta religiös in China engagiert, und um den Menschen im Kreis zu verbieten, an deren Andachten und anderen Aktivitäten im Ausland teilzunehmen.
Der Leidensweg von Wang Yong – einem Guan Yin Citta-Gläubigen aus der Stadt Yangquan in der nördlichen Provinz Shanxi – ist noch härter. Im Juni 2018 wurde Wang Yongs Reisepass von den Behörden eingezogen und er wurde auf eine andere Arbeitsstelle versetzt, weil er eine Guan Yin Citta-Andacht im Ausland besucht hatte. Es wurde nicht nur sein tägliches Arbeitspensum erhöht, sondern auch sein Monatsgehalt um 1000 RMB (ungefähr 130 EUR) gekürzt.
Quellen berichten, dass über 50 Personen aus China am selben Seminar teilgenommen hatten. Nach ihrer Rückkehr wurden die meisten von ihnen von der Polizei überprüft oder zum Verhör einbestellt.
Im Oktober 2006 reiste die in Xi‘an in der im Westen Chinas gelegenen Provinz Shaanxi lebende Qi Yan zusammen mit mehr als 100 Gläubigen nach Thailand, um den Lehrern der Höchsten Meisterin Ching Hai zu lauschen. Nach ihrer Rückkehr nach China wurde sie überwacht und von den Behörden auf eine schwarze Liste gesetzt. Die Höchste Meisterin Ching Hai ist eine Vietnamesin, die 1951 geboren wurde. Ihre Lehren beruhen in weitem Maße auf der indischen Radhasoami-Religion, beinhalten jedoch auch buddhistische Elemente. Die Bewegung von Ching Hai, die auch als Modedesignerin international bekannt ist, wurde in China 1995 auf die xie jiao-Liste gesetzt.
„Die Regierung befragt mich seit so vielen Jahren über meine Reise nach Thailand, die ich unternommen hatte, um [Ching Hais] Lehren zu lauschen. Es wirkt so, als sei ich frei, aber der Staat überwacht mich die ganze Zeit über heimlich“, sagte Qi. Zu allem Überfluss wurde 2016 auch noch ihr Sohn bestraft: Weil ihr Name auf die schwarze Liste der xie jiao-Mitglieder gesetzt wurde, verlor er einen sehr guten Job.
Im Jahr 2012 wollte Qi ins Ausland reisen, doch ihr wurde mitgeteilt, dass sie aufgrund ihres Glaubens keine Erlaubnis erhalten würde, das Land zu verlassen. Seitdem wird sie ständig von den Behörden überwacht.
Die KPCh bezeichnet neue Religionsgruppen in China, die schnell wachsen, häufig als xie jiao, so wie zum Beispiel Falun Gong, die Kirche des Allmächtigen Gottes, die Apostelgemeinschaft und andere.
In einem Interview mit Bitter Winter erklärte der in Hongkong lebende Wissenschaftler, Berater und Autor auf dem Gebiet der chinesischen Kultur und Religion, Edward Irons, dass gegen Personen, die einer der Gruppen auf der xie jiao-Liste angehören, die volle Staatsgewalt eingesetzt werden kann.
(Alle Namen, bis auf jene von Jun Hong Lu, Ching Hai und Edward Irons, wurden von der Redaktion geändert.)
Bericht von An Xin