Berühmte Schulen müssen alle Verbindungen zu ihrer historischen Vergangenheit kappen und sämtliche Gewänder, Statuen und Namen aufgeben, die an ihre buddhistischen Ursprünge erinnern.
Die Schüler der Kampfkunst sind es gewohnt, Schläge auszuteilen und einzustecken. Doch sie mussten noch nie einen Schlag wie den aushalten, den die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ihnen im Rahmen ihres Vorgehens gegen den Buddhismus versetzt hat. Aus den Kampfkunstschulen des Shaolin-Tempels, der weltberühmten Heimstätte der chinesischen Kampfkünste, wurden sämtliche buddhistische Symbole entfernt.
Das, in der Stadt Dengfeng in der chinesischen Zentralprovinz Henan gelegene, Shaolin-Kloster ist in der ganzen Welt bekannt. Es ist die Heimstätte des chinesischen Buddhismus. Der Ort, an dem der Gründer des chinesischen Buddhismus lebte und seine Lehren verbreitete, wird “Erster Tempel unter dem Himmel“ genannt. Unter dem Namen des Shaolin-Klosters wurden zahlreiche Kampfkunstschulen gegründet, welche das buddhistische Gedankengut erbten und die traditionelle Shaolin-Kultur und den Geist der chinesischen Kampfkunst weitertrugen.
Im Juli 2018 gaben die Vereinigte Arbeitsfront, das Büro für Bildung und Sport sowie das Büro für Ethnische und Religiöse Angelegenheiten der Stadt Dengfeng gemeinsam ein Dokument mit dem Titel Plan zur Umsetzung und Durchführung der Sonderleitungsaufgaben zur Trennung von Bildung und Religion in den Schulen der Stadt heraus. In dem Dokument wird Folgendes festgelegt: 1.) Es ist verboten, buddhistische Schreine in Schulen einzurichten. 2.) Es ist Lehrern und Schülern verboten, in Schulen religiöse Gewänder oder Symbole zu tragen. 3.) Heikle Wörter mit religiöser Bedeutung (wie “Buddhismus“, “Ahnentempel“, “Arhat“ oder “Bodhidharma“) müssen aus den Schulnamen gestrichen werden. 4.) Jede Kampfkunst-Schule und -Akademie muss eine Verwaltung einrichten und Personal bestimmen, welches dafür zuständig ist, regelmäßig jeden Tag Informationen weiterzuleiten, um die Schule zu überwachen.
Mit diesem Dokument wurde eine Kampagne gegen religiöse Symbole auf Schul- und Hochschulgeländen im gesamten Stadtgebiet von Dengfeng eingeleitet. Aufgrund der starken buddhistischen Färbung wurden die Shaolin-Kampfkunstschulen zum Hauptziel dieser Kampagne.
Am 31. Oktober kamen vier Vertreter der Provinzregierung zur Shaolin-Tempel-Kung Fu-Akademie für Mönchsschüler, um eine Inspektion durchzuführen. Als sie sahen, dass die Trainer und Schüler der Schule gelbe Mönchsgewänder trugen, wiesen die Vertreter sie an, sich umgehend umzuziehen.
Bei der Inspektion machten die Regierungsvertreter Fotos einer Buddha-Statue in dem buddhistischen Schrein der Schule sowie von einer Bodhidharma-Statue vor dem Schrein.
Danach musste der Leiter der Schule drastische Maßnahmen ergreifen, um eine Schließung der Akademie zu verhindern. Er entfernte die Bodhidharma- und die Buddha-Statue, hängte traditionelle chinesische Gemälde an die Wände und änderte die Schuluniform der über 1000 Lehrer und Schüler. Die Kosten für die neuen Uniformen brachten die Schule an den Rand des Ruins.
Doch es wurden mehr als nur materielle Änderungen gefordert. Früher sprachen die Schüler den Leiter der Schule gemäß der buddhistischen Tradition mit “großer Meister“ an. Jetzt aber dürfen sie ihn nur noch “Direktor“ nennen. Da das Wort “Mönchsschüler“ im Schulnamen eine religiöse Bedeutung hatte, änderte die Schule den Namen in Schule für Shaolin- Literatur und -Kampfkunst um.
Einer der Leiter der Akademie erzählte Bitter Winter: “Das Büro für Bildung und Sport verlangte, dass der Name der Schule und die Uniformen innerhalb eines Monats ausgetauscht werden müssen. Jeden Montag müssen wir die Nationalflagge hissen. Danach müssen wir bis Mittwoch Fotos [der Flaggenzeremonie] an das Büro schicken. Wenn die Fotos nicht rechtzeitig ankommen, wird der Schule die Genehmigung entzogen. Kampfkunstschulen müssen den ‚Roten Weg‘ wählen. Das ist ein politischer Schachzug.“
Ungefähr zur gleichen Zeit wurde an einer anderen Schule in Dengfeng eine unangekündigte Inspektion durchgeführt. Die Behörden ordneten an, dass es den Schülern der Shaolin-Tempel-Mönchsschule für Literatur und Kampfkunst verboten sei, Mönchsgewänder zu tragen, ihren Kopf zu rasieren und ihre Lehrer mit “großer Meister“ anzusprechen. Es wurde der Schule verboten, Tafeln, Gemälde, Fotografien oder Buddha-Statuen aufzustellen, welche chinesische Schriftzeichen für “Mönch“, “Tempel“, “Buddhist“, “Buddha“ und so weiter enthielten. Außerdem musste die Schule sich in Schule für Shaolin Literatur und Kampfkunst von Zhongyue umbenennen.
Eine dritte Schule, auf dem Berg hinter dem Shaolin-Tempel, wurde angewiesen, ihre buddhistischen Gewänder, Statuen und Tafeln zu entfernen. Außerdem wurde den Lehrern und Angestellten der Shaolin-Tempel-Mönchsakademie für Kampfkunst verboten, buddhistische Gebetsperlen, Perlarmbänder und andere religiöse Accessoires zu tragen oder Gruppenfotos in Mönchsgewändern aufzunehmen. Der Name der Schule wurde in Shaolin-Kampfkunstschule vom Berg Song umbenannt. Das Motto der Schule, “Namo Amitābhāya” (Ehre dem Unendlichen Licht) auf den Schulwänden wurde durch die Aufschrift “Liebe die Partei, liebe das Land, liebe die Schule“ ersetzt. Auf Geheiß der Behörden hisste die Schule die Nationalflagge und brachte am Schultor “rote“ Parolen an, wie z.B. “Vergesst nicht eure anfängliche Absicht, denkt an eure Mission“ oder die “Sozialistischen Grundwerte“.
Auch aus zehn weiteren Schulen wurden religiöse Symbole entfernt, unter anderem aus der Shaolin-Tempel-Bodhi-Akademie, der Shaolin-Tempel-Arhat-Akademie der Stadt Dengfeng, der Shaolin-Tempel-Tagou-Kampfkunstschule und dem Kampfkunstforschungszentrum Shaolin-Tempel.
Bericht von Wang Yichi