Im Rahmen der sogenannten „Vier Anforderungen“-Kampagne wird gefordert, dass in den religiösen Stätten in China unter der Aufsicht staatlicher Inspektoren nationalistische Rituale abgehalten und sozialistische Werte gepredigt werden.
Seit Juni 2018 führt die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) eine neue landesweite „Vier Anforderungen“-Kampagne durch, um die Sinifizierung der Religion voranzutreiben. Im Rahmen der Kampagne werden die Religionsgemeinschaften aufgefordert, vier bestimmte Praktiken zu übernehmen:
rituelle Fahnenzeremonien, oft während des Singens der Nationalhymne;
das Lehren und Verbreiten der chinesischen Verfassung, Gesetze und Vorschriften unter den Gläubigen;
das Lehren und Verbreiten der „Sozialistischen Grundwerte“ und
das Verbreiten von „Chinas herausragender kultureller Tradition“.
Kritiker sagen, dass der religiöse Glaube nach und nach „parteifiziert“ wird und religiöse Stätten zu Orten verkommen, an denen die KPCh die „Liebe zum Land“ und die „Liebe zur Partei“ verbreitet.
Das Provinzkomitee für Ethnische und Religiöse Angelegenheiten in der südöstlichen Küstenprovinz Guangdong hat am 17. September 2018 ein Dokument mit dem Titel Mitteilung des Komitees für Ethnische und Religiöse Angelegenheiten zum Drucken des Arbeitsplans für die Umsetzung der „Vier Anforderungen“ in religiös aktiven Stätten in der Provinz Guangdong herausgegeben. Nach den darin enthaltenen Anweisungen muss jede Religionsgemeinschaft unter Aufsicht der Regierungsbehörde für Religiöse Angelegenheiten die Nationalflagge hissen. Die Gemeinschaft muss weiterhin „in den religiös aktiven Stätten in der Provinz die Verfassung, die Gesetze und Vorschriften propagieren.“ In jeder Versammlungsstätte müssen ein Schwarzes Brett für „Rechtsstaatlichkeit“ angebracht und Broschüren über die Religionsgesetze und -vorschriften an die Gläubigen verteilt werden. Außerdem muss die neue Vorschrift für Religionsangelegenheiten, die am 1. Februar dieses Jahres in Kraft getreten ist, gerahmt und an die Wand gehängt werden.
In dem Dokument wird auch verlangt, dass in den religiösen Versammlungsstätten die „sozialistischen Grundwerte“ umgesetzt werden. Der Klerus muss diese Werte predigen und sie in den Geist der Gläubigen, in die gemeinsamen religiösen Aktivitäten und das Alltagsleben einbinden. Außerdem muss in den religiösen Gemeinden ein ernsthaftes Studium der traditionellen chinesischen Kultur stattfinden.
Die Umsetzung der „Vier Anforderungen“ in den Provinzen Chinas hat spürbare Auswirkungen auf die Gläubigen bis hin zur Basis. Am 15. September veranstaltete zum Beispiel das Büro für Religiöse Angelegenheiten der Stadt Pingquan (Provinz Hebei) eine Konferenz für die Verantwortlichen der Katholisch-Patriotischen Vereinigung Chinas in der Stadt. Die Stadtbehörden verlangten, dass in jeder Kirche von der Regierung herausgegebene Bücher zu den sozialistischen Grundwerten und den kulturellen Traditionen ausgelegt werden sollten. Beamte würden überprüfen, ob dies auch geschehen sei, und jede Kirche, die dem nicht Folge leiste, müsse mit Strafen rechnen.
Ein Kirchenverantwortlicher berichtet, dass seine Kirche sich innerhalb von zwei Wochen vollständig verändert hat: Abgesehen davon, dass die Nationalflagge gehisst wurde, wurden auch 19 Sachbücher und Romane – darunter die Vier Bücher und Fünf Klassiker (die wichtigsten Bücher des Konfuzianismus in China, die vor 300 v. Chr. geschrieben wurden) und die Romane Die Reise in den Westen, Die Geschichte der drei Reiche, Die Räuber vom Liang Shan-Moor und Der Traum der Roten Kammer – im Gebetsraum ausgelegt. Außerdem wurde eine Beschreibung und Autorisierung des Demokratischen Verwaltungskomitees für religiös aktive Stätten ausgehängt (Das Demokratische Verwaltungskomitee für religiös aktive Stätten ist eine Organisation, die gemäß der neuen Vorschrift für Religionsangelegenheiten für jede religiöse Stätte eingerichtet werden muss).
Der Verantwortliche für die Kirche klagte: „Die Kirche sollte ein Ort der Gottesanbetung sein, aber jetzt sind wir gezwungen nicht-christliche Bücher zu verbreiten. Ist das noch Gottesdienst? Meiner Ansicht nach ist das ein Verrat.“
Der Verantwortliche berichtet auch, dass die Regierung vor wenigen Jahren zur Weihnachtszeit Nicht-Christen in die Kirche gebracht hatte, die dort Unterhaltungsprogramme veranstalteten, die ihm das Gefühl gaben, dass der einst heilige Ort für den Gottesdienst zu einem Schauspielhaus geworden war.
Aus ganz China werden ähnliche Vorfälle berichtet. Am 12. Oktober kam ein Inspektionsteam der Provinz zur staatlich kontrollierten katholischen Kirche in der Stadt Yuzhou in der Provinz Henan im Tal des Gelben Flusses. Die Inspektoren waren empört, weil das Kirchenkreuz noch nicht entfernt worden war und beauftragten Beamte des städtischen Büros für Religiöse Angelegenheiten dieses umgehend zu entfernen.
Diese katholische Kirche hatte schon seit Juli gemäß den Regierungsanweisungen die chinesische Flagge gehisst. An den Kirchenwänden waren die Vorschrift für Religionsangelegenheiten sowie Parolen wie „Parteimitgliedern ist religiöser Glaube verboten“ oder „Predigten für Minderjährige sind verboten“ angebracht worden. Im Innern der Kirche liegen verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, Gesetzestexte und Vorschriften sowie die Texte von Xi Jinpings Reden auf, damit die Gläubigen diese lesen können.
Ein Kirchenleiter der Provinz Henan glaubt zu wissen, was sich hinter der „Vier Anforderungen“-Politik verbirgt: „Die Regierung will damit die Kirchenmitglieder indoktrinieren und kontrollieren und damit Schritt für Schritt ihr Ziel erreichen, die Kirche zu zerstören.“
Bericht von Lin Yijiang