Die KPCh zwingt den Klerus dazu, die Bibel gemäß den Sozialistischen Grundwerten zu interpretieren. Dadurch wird die christliche Lehre derart verzerrt, dass sie nur noch dem Namen nach bestehen bleibt.
Xin Lu
Die Zwei Christenräte Chinas der östlichen Provinz Shandong haben am 21. Mai ein Dokument herausgegeben. Darin wird dem christlichen Klerus in ihrem Zuständigkeitsbereich auferlegt, die sozialistische Ideologie in ihre Predigten aufzunehmen. Der Titel des Dokuments lautet Plan zur Umsetzung von Durchführungsmaßnahmen zu den „Vier Anforderungen“ in den religiösen Versammlungsstätten in der Provinz. Das Dokument verpflichtet den Klerus dazu, die ideologische Haltung der Gläubigen zu stärken und zu führen, indem dieser die Sozialistischen Grundwerte in die gemeinsamen religiösen Aktivitäten und das Alltagsleben einbindet und so im Endeffekt diese Werte in den Geist der Gläubigen einpflanzt.
Im Rahmen der Umsetzung dieses Plans mussten Kirchen von der Regierung vorbereitete Propagandaposter mit Bibelversen aufhängen, welche die zwölf Prinzipien der Sozialistischen Grundwerte veranschaulichten: Wohlstand, Demokratie, Anstand, Harmonie, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Patriotismus, Engagement, Integrität und Freundschaft.
Laut Regierung entspricht zum Beispiel „Demokratie“ dem Vers 15, 22 aus dem Buch der Sprüche: „Die Anschläge werden zunichte, wo nicht Rat ist; wo aber viel Ratgeber sind, bestehen sie.“
„Anstand“ wird durch Jakobus 3,17 veranschaulicht: „Die Weisheit von obenher ist auf‘s erste keusch, darnach friedsam, gelinde, läßt sich sagen, voll Barmherzigkeit und guter Früchte, unparteiisch, ohne Heuchelei.“
Der „Freiheit“ werden die Galater 5,13 zugeordnet: „Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen! Allein sehet zu, daß ihr durch die Freiheit dem Fleisch nicht Raum gebet; sondern durch die Liebe diene einer dem andern.“
Und „Rechtsstaatlichkeit“ wird mit Matthäus 5,17 in Beziehung gesetzt: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.“
Dass die chinesischen Behörden den christlichen Glauben zur sozialistischen Ideologie in Bezug setzen, geschieht nicht nur in Shandong. Ende letzten Jahres kursierten im Internet Nachrichten über die von Wang Heping vom Büro für Theologie der katholischen Erzdiözese von Peking veröffentlichte Theologische Interpretation der Sozialistischen Grundwerte. Es heißt, dass der Autor versucht habe, Verbindungen zwischen den Grundwerten des chinesischen Sozialismus und der katholischen Lehre zu finden, indem er die Sozialistischen Grundwerte aus dem Blickwinkel des katholischen Glaubens heraus interpretiert. Es gab Kommentare von Christen, welche die Erhebung der Sozialistischen Grundwerte auf eine theologische Ebene als Gleichsetzung der Kommunistischen Partei mit Gott betrachteten.
Am 17. April beriefen Regierungsbehörden der Stadt Xinxiang in der Zentralprovinz Henan ein Treffen für Pastoren von Kirchen in der Gegend ein. Diese wurden dazu angewiesen, die Partei-Ideologie und die traditionelle chinesische Kultur in unterschiedlichem Maß in ihre Predigten einfließen zu lassen.
Einer der Pastoren berichtete Bitter Winter, dass dieses Vorgehen Teil der Politik zur „Sinisierung“ des Christentums sei. Die Gläubigen sollen denken, dass es keinen Widerspruch zwischen der traditionellen chinesischen Kultur und der Bibel gibt, und dass beide in Harmonie nebeneinander bestehen können. Als Beispiel führte der Pastor ein Zitat des einflussreichsten chinesischen Philosophen und Lehrers, Konfuzius (551-479 v. Chr.), an: „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu.“ Dieses Zitat wird mit Lukas 6,31 verglichen. Dort steht: „Und wie ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, also tut ihnen gleich auch ihr.“ Und Mao Zedongs Zitat über die Notwendigkeit, „dem Volk zu dienen“ wird dem Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ gleichgesetzt.
Wie Bitter Winter berichtet hat, haben die Behörden im Kreis Luoning (Henan) die staatlich anerkannte protestantische Kirche angewiesen, das erste der Zehn Gebote – Du sollst keine anderen Götter neben mir haben – zu streichen, sodass nur noch Neun Gebote übrig bleiben.
Die KPCh wandelt damit auf den Spuren Deutschlands unter dem Nationalsozialismus: Dort waren eine „entjudete“ Version des Neuen Testaments und, ein Jahr darauf, ein neuer Katechismus herausgegeben worden. Letzterer enthielt zwölf an Stelle von zehn Geboten, die auch noch überarbeitet worden waren. Eines der neuen Gebote lautete: „Ehre Deinen Führer und Herrn.“
Im März veröffentlichte die südliche Zentralprovinz Hunan einen Entwurf für Hunans Fünfjahresplan zur Förderung der „Sinisierung“ des Christentums. In dem Dokument wird verlangt, dass „in der Bibel tiefgehend nach Textstellen gesucht werden soll, die mit den Sozialistischen Grundwerten vereinbar sind, und gemeinsame Anstrengungen unternommen werden sollen, um leichtverständliches Lesematerial für den Klerus und die Laien der Kirchenbasis zu erstellen. Diese Bibelstellen sollen weithin im Christentum verbreitet werden und Einfluss nehmen.“
Die „Sinisierung“ des Christentums hat zu einigen lächerlichen Predigten geführt. Lin Chaoqun, ein Pastor einer Drei Selbst-Kirche in der südöstlichen Provinz Fujian, interpretierte die biblische Geschichte von Jesus, der fünftausend Menschen mit fünf Brotlaiben und zwei Fischen sättigt, und dessen Jünger danach zwölf Körbe voller Essensreste einsammeln, als Verhaltenskodex für den Umweltschutz. Der Pastor erklärte, dass es damals warm gewesen sei, sodass die Essensreste in der Hitze verdorben wären und die Umwelt verschmutzt hätten, wenn die Jünger sie nicht eingesammelt hätten. Pastor Lin wollte mit dieser Geschichte den in den Sozialistischen Grundwerten verwendeten Begriff „Anstand“ veranschaulichen.
„Nach außen hin sind Maßnahmen wie das Entfernen von Kreuzen und das Aufstellen von Nationalflaggen sichtbar. Doch der heimtückischste Trick ist es, die Sozialistischen Grundwerte in die Bibel zu integrieren, denn damit ist es ein Leichtes, das Herz der Gläubigen zu verwirren. Das ist eine Verzerrung des christlichen Glaubens. Es ist ein Teufelswerk“, sagte ein Drei Selbst-Prediger. „Die Lage wird immer bedrohlicher, die Regierung verstärkt den Druck Schritt für Schritt. Am Ende wollen sie den religiösen Glauben vollständig auslöschen.“
Die KPCh nimmt auch hinsichtlich der Ausbildung von „rotem“ Klerus an Fahrt auf. Am 18. März hat das Komitee für Ethnische und Religiöse Angelegenheiten der Stadt Wuhan in der Zentralprovinz Hubei ein einwöchiges Indoktrinationstraining für 44 Klerusmitglieder abgehalten, die zur Katholisch-Patriotischen Vereinigung Chinas gehören. In den Kursen wurden Themen behandelt wie „Der Geist des 19. Nationalkongresses“, „Xi Jinpings Gedanken zu einem Sozialismus chinesischer Art für ein neues Zeitalter“, „Die Sozialistischen Grundwerte“, „I Ching und die Philosophie“, und so weiter.