Bei einer landesweiten Razzia vor dem 70. Jahrestag der Volksrepublik China wurden über 100 Mitglieder der Kirche des Allmächtigen Gottes festgenommen.
von Zhao Mingzhe
Während der Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China (VRC) am 1. Oktober immer näher rückt, geht die kommunistische Regierung gegen ihren Todfeind vor: die Gläubigen. In allen Regionen führt die Polizei Maßnahmen zur „Aufrechterhaltung der Stabilität“ durch. Manche religiöse Gruppen wie die Kirche des Allmächtigen Gottes (KAG) sind besonders stark betroffen.
Gläubige vor Festnahmeoperation überwacht
Ein Beamter der Lokalregierung aus der Regierungsbezirksstadt Linfen in der nördlichen Provinz Shanxi erzählte Bitter Winter, dass die Razzien gegen bestimmte religiöse Gruppen vor dem Jahrestag der VRC noch verstärkt worden seien. „Die Lage ist mittlerweile sehr ernst. Der Staat hat die Lokalregierungen überall in China angewiesen, vor dem 1. Oktober eine große Anzahl von Gläubigen festzunehmen“, sagte der Beamte.
Quellen berichteten, dass die Lokalregierungen in der Provinz Shanxi im Juli alle bekannten Haushalte von Gläubigen gründlich überprüft hätten.
Die KAG war von den Festnahmen am stärksten betroffen. Die Kirche des Allmächtigen Gottes (KAG) ist die größte neue christliche Religionsbewegung in China und leidet seit ihrer Gründung im Jahr 1991 unter fortwährender, brutaler Unterdrückung durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh). Allein im Jahr 2018 wurden 685 KAG-Mitglieder brutal gefoltert und einer Zwangsindoktrination unterzogen. Mindestens zwanzig Personen starben aufgrund der Verfolgung. Viele der Opfer starben an den Folgen der Folter, wie eine KAG-Angehörige aus Xinjiang, die Anfang 2019 am 12. Tag in Haft verstarb.
Nach unvollständigen Angaben wurden in der Stadt Taiyuan (Shanxi) allein am 19. und 20. Juli mindestens 31 KAG-Mitglieder festgenommen. Selbst nicht-religiöse Familienangehörige von KAG-Mitgliedern bekamen Schwierigkeiten oder wurden ebenfalls festgenommen. Die Behörden zwangen sie dazu, „Garantieerklärungen“ zu verfassen, in denen sie versprechen mussten, dafür zu sorgen, dass ihre Familienangehörigen ihren Glauben aufgeben würden. Ansonsten drohten ihnen „Geldstrafen und Haft“.
Ein lokaler Vertreter der Öffentlichen Sicherheit berichtete, dass die im Rahmen dieser Operation festgenommenen KAG-Mitglieder zuvor überwacht worden seien. Den wichtigsten KAG-Leitern droht möglicherweise eine Gefängnisstrafe. Die Quelle berichtete auch, dass die Festnahmeoperation weiterhin durchgeführt wird, da die Polizei eine Liste von fast 500 KAG-Mitgliedern zusammengestellt hat, die festgenommen werden sollen.
Ein Polizeibeamter aus der Stadt Taizhou in der östlichen Provinz Zhejiang bestätigte, dass die Regierung vor dem Nationalfeiertag Massenfestnahmen von KAG-Mitgliedern angeordnet hat. „Wir müssen vor dem 1. Oktober Massenverhaftungen durchführen. Die Kampagne zur ‚Säuberung von Bandenkriminalität und Ausrottung des Übels‘ richtet sich gegen diejenigen, die an den Allmächtigen Gott glauben. Die Regierung will alle KAG-Mitglieder in einem Durchgang festnehmen“, erklärte der Beamte und fügte hinzu, dass an zahlreichen Fahrzeugen von KAG-Mitgliedern Peilsender angebracht worden seien.
Ein ortsansässiger KAG-Angehöriger fand einen Peilsender, als er Wartungsarbeiten an seinem Auto durchführte. Diesen hat er zwar entsorgt, doch mittlerweile ist eine Überwachungskamera vor seinem Zuhause angebracht worden. Ein Glaubensgenosse des Mannes fand ebenfalls einen Peilsender in seinem Auto.
Ein KPCh-Insider berichtete, dass es in den Straßen und besonders belebten Vierteln in großen Städten wie Bus- oder Zugbahnhöfen mittlerweile von Polizeibeamten in Zivil, die Menschen verfolgen, wimmelt. In ländlichen Gebieten wurden lokale Parteimitglieder mit der Überwachung von Gläubigen betraut.
Die Anweisungen kommen von der Zentralregierung, die Operationen werden geheim gehalten
In den frühen Morgenstunden des 6. September wurden Razzien gegen mindestens 13 Versammlungsstätten der KAG in der Regierungsbezirksstadt Wuhu in der Zentralprovinz Anhui durchgeführt und diese geschlossen. Anschließend wurden 42 Kirchenmitglieder festgenommen.
Eine Augenzeugin erzählte Bitter Winter, dass sie in den frühen Morgenstunden des 6. September von ihrem Fenster aus 20 Polizeibeamte gesehen habe, die in die Wohnung ihrer Nachbarn gestürmt seien, bei denen es sich – wie sie später feststellte – um KAG-Mitglieder gehandelt hatte. Die Frau sagte, dass die Beamten die Wohnung mit Detektoren durchkämmt hätten, als seien sie auf der Suche nach etwas. Danach waren zwei Personen in der Wohnung in Handschellen und mit schwarzen Kapuzen über den Köpfen fortgebracht worden. Ein Teil der Polizeibeamten blieb bis zum Morgengrauen vor Ort.
Ein Insider des Büros für Öffentliche Sicherheit berichtete, dass die Festnahmen Teil einer Geheimoperation gewesen seien, die gemeinsam von den Büros für Öffentliche Sicherheit der Provinz und der Stadt in Zusammenarbeit mit den lokalen Polizeidienststellen durchgeführt worden sei.
Entsprechende Operationen fanden auch in der südöstlichen Provinz Fujian statt. Am 5. September wurden in der Hauptstadt Fuzhou zwölf KAG-Mitglieder festgenommen. Ihre Familien haben bislang keine Nachricht von ihnen erhalten.
Im August wurden in den Städten Fuzhou, Putian und Sanming in Fujian 41 KAG-Mitglieder festgenommen und 10 200 Renminbi (ungefähr 1300 Euro) an persönlichem Besitz beschlagnahmt. Das Alter der Festgenommenen lag zwischen 17 und 85 Jahren. Unterdessen wurden im gleichen Monat in der südlichen Provinz Guangdong fast 30 KAG-Mitglieder in Gewahrsam genommen.
Anfang Juli kamen bei einer organisierten Razzia gegen die Kirche des Allmächtigen Gottes in der Stadt Tangshan in der nördlichen Provinz Hebei ungefähr 300 Polizeibeamte zum Einsatz. Nach KAG-Angaben wurden im Rahmen dieser Operation mindestens 41 Gläubige festgenommen, darunter auch eine Schwangere. Außerdem wurden ungefähr 50 000 Renminbi (ungefähr 6500 Euro) an Privat- und Kirchenbesitz beschlagnahmt.
Eine Quelle der lokalen Kräfte für Öffentliche Sicherheit berichtete, dass diese Festnahmeoperation auf Anweisung der Zentralregierung erfolgt und heimlich vom Inspektionsteam der Provinz und der städtischen Staatssicherheitsbrigade organisiert worden sei. Vor der Operation hatte die Polizei KAG-Mitglieder über Monate hinweg heimlich überprüft und überwacht. Damit dies nicht bekannt wurde, und um zu verhindern, dass Gläubige fliehen, erhielten Hunderte von Polizeibeamten, die an der Operation beteiligt waren, erst im letzten Moment Informationen über die Personen, die festgenommen werden sollten. Auch die Kontakte der Beamten mit Kollegen aus anderen Einheiten waren vor der Razzia eingeschränkt worden.
Ein KAG-Angehöriger erzählte Bitter Winter, dass ihm ein Polizeibeamter während einer der Razzien eine Liste mit Informationen und Aufzeichnungen zu über 100 KAG-Mitgliedern gezeigt habe.