Eine in Shanxi lebende Uigurin erzählt ihre traurige Geschichte. Uiguren, die in anderen Teilen Chinas leben, werden nach Xinjiang zurückgeschickt und verhaftet, wenn sie wie gläubige Muslime wirken.
Zhang Feng
Eine Uigurin aus der, im Norden Chinas gelegenen, Provinz Shanxi lebt mit ihren zwei Söhnen in einer ausgesprochen winzigen, bislang angeblich vorläufigen Unterkunft. Sie hat Bitter Winter ihre Geschichte erzählt und uns gebeten, ihren Namen nicht zu nennen. Ihre Unterkunft ist so winzig, dass ein Doppelbett ein Zimmer ausfüllt, das kleiner als acht Quadratmeter ist. Das einzige wertvolle Gerät in dem Zimmer ist ein alter Fernseher. In der Küche, die sie mit anderen Mietern teilen muss, gibt es keine Wasserleitungen und keinen Abluftventilator.
Sie ist in diese Misere geraten, nachdem ihr Ehemann, ein Muslim, 2016 nach Xinjiang zurückgekehrt ist, um Verwandte zu besuchen (in Xinjiang lebt eine große muslimische Minderheit). Doch dann wurde er verhaftet und zum Aufenthalt in einem der berüchtigten chinesischen “Transformation durch Bildung“-Lager verurteilt. Dort muss er sechs Jahre lang “studieren“, bevor eine Entlassung in Erwägung gezogen wird.
Er ist nicht der Einzige. Im Dezember 2018 wurden zwei Muslime, die in der Nähe der Mietwohnung der Frau leben, zwangsweise nach Xinjiang zurückgeschickt. Auch ihr Schwager wurde von den Behörden dorthin zurück beordert. Fünf weitere Muslime traf die zwangsweise Rückführung im März. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) schickt Menschen aus Xinjiang, die in anderen Provinzen arbeiten, zwangsweise zurück in die Orte, in denen ihr Haushalt gemeldet ist. Die Frau sagte, dass sie es “nicht wagt zurück [nach Xinjiang] zu gehen“, denn “die Kontrolle [der die Menschen dort unterworfen sind] ist zu streng…“
Sie berichtete, dass ihr Ehemann festgenommen wurde, weil er keinen Alkohol trinkt und nicht raucht. Dies ist bei den meisten Muslimen der Fall. Doch seit Mai 2015 haben die Behörden in Xinjiang die Uiguren nicht nur dazu gezwungen, sowohl Zigaretten als auch Alkohol zu verkaufen, sondern nehmen auch diejenigen fest, die diese nicht konsumieren. Das ist Teil der politischen Mentalität in China. Diejenigen, die keinen Alkohol trinken oder rauchen, werden als Menschen mit “extremer religiöser Gesinnung“ betrachtet und laufen Gefahr, festgenommen zu werden.
Die Frau nahm zunächst das große Risiko auf sich und reiste zurück nach Xinjiang, um die Entlassung ihres Ehemanns zu bewirken. Doch das gelang ihr nicht, stattdessen wurde sie selbst strenger Überwachung und Kontrolle unterworfen. Jeden Abend musste sie Rechtsunterricht und chinesische Sprachkurse besuchen. Außerdem musste sie jeden Montag an der Flaggenzeremonie teilnehmen und die Nationalhymne singen sowie abends kommunistische Lieder lernen. Wenn sie an diesen Aktivitäten nicht teilgenommen hätte, wäre sie in ein Transformation-durch-Bildung-Lager gesperrt worden.
Sie wurde auch gezwungen, in einem Staatsunternehmen zu arbeiten, wo sie einen Arbeitstag von zwölf Stunden hatte und nur ungefähr 1000 RMB (ca. 130 EUR) verdiente. Kurz gesagt: Nicht annähernd genug für sich und ihre beiden Söhne, um über die Runden zu kommen. Allerdings hatte sie auch nicht wirklich eine Wahl. Hätte sie den Regierungsanweisungen nicht Folge geleistet, wäre sie als Person mit “problematischer Ideologie“ betrachtet und in ein Transformation-durch-Bildung-Lager gesperrt worden.
Stattdessen zog sie mit ihren beiden Söhnen zurück in die Provinz Shanxi und tat alles, um ihr Überleben zu sichern. Im Winter verkaufte sie getrocknete Früchte und im Sommer naan (Brot). Monatlich verdient sie ungefähr 3000 RMB (ca. 390 EUR). Davon muss sie nicht nur das Schulgeld für ihre Kinder und ihre Lebenshaltungskosten bezahlen, sondern auch 500 RMB (ca.65 EUR) für die Lebenshaltungskosten für ihren internierten Ehemann abgeben.
Angestellte der lokalen Polizeistation in Shanxi und einer Behörde, die als “Xinjiang Arbeitsgruppe in der Provinz Shanxi“ bekannt ist, besuchen die Frau in unregelmäßigen Abständen und befragen sie über ihre Situation. Sie geben ihr Bücher, aus denen sie etwas über Recht und die chinesische Sprache lernen soll. Sie verlangen von ihr, dass sie Videos von ihrer Teilnahme an den montäglichen Flaggenzeremonien in ihre Heimatstadt sendet. Infolgedessen kann sie nicht das tun, was ihr eigentlich im Herzen brennt, nämlich die Moschee besuchen und beten.
„Überall in der Moschee sind Überwachungskameras“, erzählte sie. „Sobald wir davon erfasst werden, befragt uns die Polizei darüber, warum wir dorthin gegangen sind und was wir damit bezwecken. Ich bleibe jedes Mal einfach vor der Moschee stehen und schaue sie aus der Ferne an. Dann gehe ich weiter“, sagte sie.
Sie darf zwar mit ihrem Ehemann telefonieren, doch jeder Anruf dauert nur drei Minuten lang. Während des Telefonats darf sie nicht Uigurisch sprechen, sondern nur Chinesisch.