Eine mobile App versucht, die Freizeit der Arbeiter zu dominieren und die Bürger zu indoktrinieren, die jetzt darum kämpfen, hohe Punktezahlen zu erreichen, um die Partei zufrieden zu stellen und ihre Jobs zu behalten.
Die Zentrale Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) hat die “Lerne Xi (Xue Xi) starke Nation” vorangetrieben. Der Name der App ist ein Wortspiel: ‘Xi‘ ist sowohl der Nachname des Präsidenten als auch das zweite Zeichen im chinesischen Wort xuexi (學習), was „studieren“ bedeutet. Somit impliziert der Name, dass das Studium des Gedankenguts des Präsidenten das wichtigste Studium von allen ist.
Die App ist sowohl im Apple Store als auch im Google Android-Store erhältlich, obwohl viele andere Apps (einschließlich Apps mit religiösen Themen) verboten sind. In nur kurzer Zeit hat das Programm andere beliebte Apps in China wie TikTok und WeChat überholt und führt nun die Download-Ranglisten an. Doch die überwältigende Mehrheit dieser Millionen Downloads wurde von chinesischen Bürgern getätigt, die in ein Leben des „Studiums“ gezwungen werden.
Bitter Winter hat bereits über den digitalen Personenkult berichtet, der um die Person Xi Jinping errichtet wird. Außerdem über den krassen Unterschied zwischen der App „der kleine katholische Helfer”, die unterdrückt wird, während gleichzeitig die Xi App gefördert wird. Doch wie geht es dem normalen Bürger, der dazu gezwungen wird, diese App zu benutzen?
Forcierte Promotionskampagne der Regierung lässt Erinnerungen an die Kulturrevolution wach werden
Am 21. Januar erhielt eine Grundschullehrerin der Stadt Qingdao in der Provinz Shandong eine Nachricht von der WeChat-Gruppe der Schule, in der verlangt wurde, dass alle Mitarbeiter jeder Abteilung des Büros für Bildung und Sport, einschließlich Lehr- und Verwaltungsmitarbeiter, an diesem Tag noch vor 16.00 Uhr die App “Lerne Xi (Xue Xi) starke Nation” installieren sollten. Man rechnete mit einer Anmeldeziffer von 100%, und dass der Anmeldestatus jedes Mitarbeiters an das Büro für Bildung und Sport gemeldet werden würde.
Bei dieser Software müssen sich die Benutzer mit ihrem richtigen Namen anmelden. Somit weiß die Schulleitung sofort, wer diese App nicht heruntergeladen hat – und sie alle erhielten eine Warnung. Einige ältere Lehrer, die nicht wussten, wie der Download funktioniert, mussten um Hilfe bitten.
Doch nicht nur Mitarbeiter der Regierung und der öffentlichen Hand mussten “Lerne Xi (Xue Xi) starke Nation” installieren. Vom 22. bis 25. Januar strahlte das Dorfkomitee des Dorfes Dong Zhaojiazhuang (in der Stadt Jiaozhou, Shandong) drei Tage hintereinander eine Sendung aus, in der alle Dorfbewohner ab 60 Jahren dazu aufgefordert wurden, ins Büro des Dorfkomitees zu kommen und ihre Personalausweise und Smartphones mitzubringen. Dort würden sie sich dann registrieren und die Regierungsbeamten würden für sie die App herunterladen.
“Lerne Xi (Xue Xi) starke Nation” wird von allen Lokalregierungen im ganzen Land nachdrücklich gefördert. Regierungen einiger Regionen haben sogar spezielle Sitzungen zu diesem Thema einberufen und behandeln es als eine politische Aufgabe, die von den lokalen Propagandaabteilungen jeder einzelnen Provinz und Stadt überwacht und umgesetzt werden muss. Daher ist das Download-Ranking dieser App nach wie vor unverändert hoch.
Die außergewöhnlich vielen Downloads von “Lerne Xi (Xue Xi) starke Nation” haben die Aufmerksamkeit der Welt erregt, da dieses Vorgehen einige an die „Zitate des Vorsitzenden Mao Zedong“ (《毛主席語錄》) erinnert, die im Westen als die „Mao-Bibel“ bekannt sind und von den Chinesen gemeinhin das „Rote Schatzbuch“ (紅寶書) genannt wird. Dieses Buch wurde während der Kulturrevolution vom KPCh-Regime nachdrücklich gefördert und weit verbreitet und soll angeblich in Bezug auf seine internationale Verbreitung hinter der „Heiligen Schrift“ an zweiter Stelle stehen. Die Macht der staatlichen Werbepolitik sollte also nicht unterschätzt werden.
Nach Ausbruch der Kulturrevolution forderte Lin Biao, Maos Stellvertreter, zum „Studium der Schriften des Vorsitzenden Mao“ auf, die „mit Neugier, flexibel und pragmatisch gelesen werden sollten und damit ein Erlernen mit der Anwendung vereint werden sollte“. Damit wurde ein Aufschwung des „Studiums“ ausgelöst und zugleich der Grundstein für Mao Zedongs Persönlichkeitskult gelegt.
Ein älterer Mann, der die Kulturrevolution noch erlebt hat, berichtete Bitter Winter, dass die Menschen die „goldenen Sätze“ der „Mao-Bibel“ auswendig lernten. Sie galt als Symbol für ihre Treue zur Partei. Einige Worte aus den „Zitaten des Vorsitzenden Mao Zedong“ aus der Erinnerung aufzusagen, konnte einer Person manchmal sogar dabei helfen, nicht der strengen politischen Zensur zum Opfer zu fallen.
Beschwerden über forcierten Anstieg des „Studiums“
“Lerne Xi (Xue Xi) starke Nation” verwendet auch ein Punktesystem, um die Loyalität der Bürger zur Partei in Zahlen auszudrücken.
Für die Krankenschwester Zhang aus einem Krankenhaus der Stadt Qingdao war das chinesische Neujahr dieses Mal alles andere als erholsam. Sobald sie in ihrem Urlaub kurz mal Zeit hatte, holte sie ihr Mobiltelefon hervor, um sich die Nachrichten anzusehen. Ihre Familie war komplett perplex angesichts dieses ungewöhnlich fleißigen „Studiums“ von Zhang.
Frau Zhang erklärte ihrer Familie daraufhin: „Die Stadtverwaltung von Qingdao fordert, dass jeder Mitarbeiter in Institutionen der öffentlichen Hand – auch Straßenkehrer – stets auf die Fragen von nationalem Interesse achten, wie etwa auf die Aktivitäten des Vorsitzenden Xi Jinping. Wir müssen wissen, ob er im Land Treffen einberuft oder Inspektionen abhält oder ins Ausland reist und was er sagt und tut. Wir müssen diesbezüglich auch Fragen beantworten und Formulare ausfüllen. Wenn irgendetwas dazwischenkommt und wir einmal nicht die Nachrichten sehen können oder wir die Fragen nicht beantworten, dann verlieren wir Punkte.“
Mehrere Kollegen von Zhang haben sich im Privaten darüber beklagt, dass “Lerne Xi (Xue Xi) starke Nation” viel zu viel ihrer privaten Zeit in Anspruch nimmt. Insbesondere im Fall von Ehepaaren, die Pflichten sowohl im Beruf als auch zu Hause haben, und nun ihr bisschen Zeit für die Erholung damit verbringen müssen, Studienaufgaben zu machen. Doch niemand wagt es, sich zu widersetzen.
„Die größten Probleme habe ich mit dem Punktesystem und den Frage- und Antwortfunktionen“, beklagte sich ein Grundschullehrer. „Das Punktesystem dieser App ist so eingerichtet, dass wir regelrecht zum „Lernen“ gezwungen werden. Für jeden Artikel, den man gelesen hat, gibt’s einen Punkt. Die Schule verwendet den Punktestand dann als Grundlage für Lob oder Kritik an den Lehrern. Die Schule hat sogar eine Frage-und-Antwort-Gruppe mit zwingend vorgegebenen Fragen gebildet, sodass man sich in seinen Freistunden nicht mehr entspannen kann.“
Unternehmen helfen bei der Durchsetzung des obligatorischen „Studiums“ mit
Das chinesische Wasserförderungsunternehmen Engineering Bureau 15 Co., Ltd. hat eine Organisation zur Verwaltung des Studiums gegründet, die Echtzeitberichte über den Status der Beteiligung, Aktivitäten, der Punktezahl usw. der Mitarbeiter erstellt. Der Marketingslogan des Unternehmens lautet „Melde dich in der App an, studiere die aktuellen politischen Ereignisse, beantworte die Fragen und vergleiche deinen Lernfortschritt mit anderen.“ Das Unternehmen möchte eine „dichte Lernatmosphäre “schaffen, die jeden dazu ermutigt „sich dem Studium anzuschließen und mit anderen zu wetteifern, sie einzuholen und zu überholen.“
Einige Lokalregierungen haben sogar versprochen, Arbeitnehmer auf Grundlage ihrer Punktezahl zu belohnen. Sobald sie ein bestimmtes Niveau erreicht haben, können sie Punkte gegen Buchgutscheine, Kino- und Museumskarten, Übertragungspauschalen bei einem der drei wichtigsten Kommunikationsunternehmen Chinas oder Bahntickets für die Hochgeschwindigkeitszüge eintauschen, um zu ausgewiesenen ‘roten‘ Touristenorten zu reisen.
Bericht von Li Mingxuan